Briefwechsel 87. Ohne Datum. 1808. Das Buch von Buchholtz über den Adel habe ich gestern gelesen. Vielleicht that ich Unrecht, daß ich es gestern las; ich bin überzeugt, vor 8 Tagen hätte es anders auf mich gewirkt; ich wäre weniger davor erschrocken und hätte es muthiger angepackt. Was mich aber bei dieser verdammten Schrift gleich etwas aus der Fassung brachte, war der von allen vorigen Produkten des Menschen so durchaus verschiedene Charakter des gegenwärtigen. Ich hatte noch kurz vorher sein Rom und London gelesen, das würdige Seitenstück zum Leviathan, eine reine Geburt des Tollhauses, in der auch nicht einmal ein Funke von Imagination oder eine Ahndung von politschen Ideen ist, geschrieben noch ärger, noch schleppender, noch nachlässiger, als selbst der Leviathan. Mit diesen war ich fertig. Erscheint die Schrift über den Adel, der Sie und ich, wie wenig wir auch damit zusammenstimmen mögen, doch wahrlich nicht absprechen dürfen, daß sie mit Klarheit, mit Ordnung, mit Uebersicht, mit großer Gewandtheit, in einem auffallend raschen, leichten, kurzen, belebten Styl, und, was ich weniger begreife als alles andere, mit einer gewissen Ruhe geschrieben ist, die aus einem tiefen Gefühl des Vertrauens auf den nahen und unvermeidlichen Sieg seiner Sache herzustammen scheint. <130:> Wie das zu erklären, wo der Mensch auf einmal diese Attitüde und diesen Styl hergenommen, weiß ich nicht. Es ist gewiß keine Täuschung. Ich habe das Buch zweimal ganz durchgelesen, ehe ich meinen Augen traute. Nun denken Sie sich, welche Popularität ein Werk erwecken muß, welches in solcher Form eine Institution angreift, die Niemanden mehr Interesse einflößt, und die überdies Jeder für hülflos hält. Daß die Idee des Adels eine ächte, feste, von der Idee einer Gesellschaft unzertrennliche ist, haben wenige so vortrefflich dargethan, als Sie; was aber aus unserem wirklich vorhandenen, alten Adel in Kurzem werden wird, schmerzt mich zu denken. Die Anklagen eines so verwegenen Demagogen sind wirklich gar zu schwer zu beantworten, und je mehr man diesen Adel in der Nähe gekannt hat, desto weniger darf man ihn mit gutem Gewissen vertheidigen. So geht es in mehreren Hauptpunkten. Mit welcher Stirne darf man noch das alte politische System von Europa behaupten, nachdem Schlag auf Schlag alle die Fehler, alle die Rasereien daraus hervorgegangen sind, die es nun gänzlich zu Grunde gerichtet? Ueberhaupt kann freilich eine völlig besiegte Sache nur noch von großen Gemüthern geführt werden; Alle übrigen, Sklaven des Erfolgs, meistentheils sogar des bloß augenblicklichen, finden insgeheim immer etwas Anstößiges darin, daß Jemand noch Recht behalten will, wenn einmal der Ausgang wider ihn entschied! Dieß Buch von Buchholtz, ob ich es gleich an und für sich keiner ernsthaften Antwort werth halten würde, wird mir noch viel böses Blut machen! Glücklich Sie, der Sie hoch über diesen Stürmen in einer Region, wo Niemand Ihnen beikommen kann, sich selbst Ihre Gesetze geben und Ihre Wege bezeichnen! Ihre Vorlesungen, das weiß ich vorher, werden Sie gewiß wieder in durchaus neuen Gestalten zeigen, und was würde erst seyn, wenn Sie sich endlich einmal entschließen könnten, sie vorher auszuarbeiten! Die Form, in der Sie bisher arbeiteten, ist, bei Gott, Ihrer nicht würdig, liebster Freund! Eine Vorlesung, zwei oder drei Stunden, ehe man sie hält, zusammengeschrieben, ist ein Geniesprung, aber nicht das Werk eines reflektirenden Mannes. Sie sind der erste Kritiker dieser Zeit vom Augenblicke an, da Sie es wollen; denn was in Ihnen für Abgründe von kritischer Kraft, ja selbst von Wissenschaft und Kenntniß stecken, begreift nur der, der Sie einigermaßen ergründet hat. Entschließen <131:> Sie sich zur Arbeit, und das Außerordentliche muß unter Ihren Händen hervorgehen. Mit Schubert habe ich mich hinterher doch noch mehr beschäftigt, als ich anfänglich wollte. Besonders hat der Aufsatz über die Verwesung, das kann ich nicht läugnen, mir einige weite und große Blicke über die organische Schöpfung geöffnet. Doch will ich heute nichts davon sagen. Die ganze Geschichte mit dem Zahlengebäude der Planeten scheint mir nicht bloß Nonsens, sondern sogar reine Plattitüde zu seyn. Gentz. |
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