Briefwechsel

86.

Dresden, den 6. Februar 1808.

Ich will mit Ihnen nicht darüber rechten, mein vortrefflicher Freund, ob die Nachricht von einer öffentlichen Allianz zwischen mir oder dem Gegensatze und einem deutschen Dichter vom allerersten Range nicht hätte von Ihnen mit etwas lebhafterem Beifall aufgenommen werden sollen. Solche, wie Gentz, sollten eigentlich die Ironie in unserer Firma: Journal für die Kunst, empfinden. Selbst in den Augen sehr vieler gebildeter Deutschen, wie es schon jetzt der Absatz zeigt, hat es wohl noch keine ähnliche Verbindung der Poesie mit Philosophie und der bildenden Kunst gegeben. – Den Vergleich mit den Horen können wir uns aus vielen Gründen nicht gefallen lassen; Goethe’s Gemeinschaft und seinen Antheil wird Niemand verkennen, aber Schillers philosophische Arbeiten, wie gewiß sie auch sein Meisterstück seyn mögen, und wie sehr sie auch die Kunstansichten in Deutschland gefördert haben mögen, qualificiren ihn zu einer Art von Oberkammerherrn oder Ceremonienmeister im Gefolge jenes königlichen Dichters; aber von einem wahren Gegensatze zwischen Poesie und Philosophie, also von einer ächten Allianz zwischen beiden, war wenigstens im Bezirke des Journals nichts zu spüren; ferner waren, dem eigenen Geständniß des Herausgebers nach, die Horen zu einer Art von Lust- und Thiergarten bestimmt, zu einer sonntäglichen Retraite oder Ressource, wo man das wirkliche Leben und alles politische Kreuz der Zeitumstände eine Weile vergessen sollte. Daß ich in eine ähnliche schlaffe Ansicht des Lebens, eine ähnliche Trennung der sogenannten heitern Kunst von dem ernsten Leben nie habe eingehen wollen, dieß, mein Freund, müssen Sie mir bezeugen. Meine Ansicht der Welt ist eine ganze und vollständige; innerhalb meiner Ansicht, und – was dasselbe ist – innerhalb meiner ist alles, wie Sie es nennen, idealisch, aber vollständig idealisch, was in der deutschen Philosophie vielleicht nicht vorgekommen ist. Wenn nun andere sehr gescheite, nur in andern Standpunkten befindliche Menschen, zugebend ich sey vollständig realisch, über meinen Realismus klagen, so werden Sie mir, so wenig ich auch einer solchen Probe vor mir selbst bedarf, erlauben, dieß für eine Probe zu halten, daß ich das rechte sey. Meine Kunstansichten müssen und sollen allen Dichtern meiner Zeit, Goethe und Kleist ausgenommen, allzu realisch erscheinen; wäre es anders, so hätte ich unrecht. <127:>

Sie, mein Freund, reden unserm ökonomischen Vortheil das Wort, und mißrathen uns die Paradoxien, z.B. die anscheinende der Penthesilea. Wir dagegen wollen, es soll eine Zeit kommen, wo der Schmerz und die gewaltigsten tragischen Empfindungen, wie es sich gebührt, den Menschen gerüstet finden, und das zermalmendste Schicksal von schönen Herzen begreiflich, und nicht als Paradoxie empfunden werde. Dieser Sieg des menschlichen Gemüths über kolossalen, herzzerschneidenden Jammer hat Kleist in der Penthesilea als ein ächter Vorfechter für die Nachwelt im Voraus erfochten. – Wir fürchten nicht, daß Sie den Phöbus mit dem Athenäum, weder von philosophischer noch poetischer Seite, vergleichen werden; ein anderes ist es, paradox erscheinen und paradox seyn. Die Paradoxie in dem Athenäum mußte sich selbst mit neuer Paradoxie überbieten; aber jene Kraft des Herzens, die, wie die Lessing’sche in einer kleinen Sphäre, nicht aus Hoffart, sondern um der Klarheit willen paradox scheint, welche schlägt, um recht zu besänftigen, welche aus einem thierischen Schlaf aufrüttelt, um eine göttliche Ruhe zu geben, wird wohl Niemand im Athenäum spüren.

Muthwillen kann unser Betragen, Wagstück unser Unternehmen nur dann genannt werden, wenn wir über den Erfolg, den wir beabsichtigen, etwa noch zweifelhaft wären, wenn eine auswärtige Stimme, eine öffentliche Meinung oder irgend ein dergleichen Popanz, kurz, wenn irgend etwas zufälliges von außen erst hinzukommen müßte, um uns zu rechtfertigen. Ist indeß innerhalb eines Werkes, wie gewaltig es sich auch gebehrde, eine überwiegende Liebeskraft; ist das Blut, welches empört und vergossen wird, zugleich der Balsam für die mitempörten Zeugen, so lassen Sie die Welt immerhin etwas schaudern, und so Gott es ihr vergibt, auch etwas ekeln; es werden schon glücklichere Zeiten kommen, welche ganz unbefangen das große und natürliche und menschliche begehren werden. Gerade ein solcher wie Sie, der sein Herz an große und allgemeine Freuden und Sorgen gewöhnt hat, müßte ganz andere Dinge in Kleist sehen, als die, worüber Sie sich mit so vielem Unwillen auslassen. Sie müßten an diesem Dichter preisen, daß er, der an der Oberfläche der Seelen spielen und schmeicheln könnte, der alle Sinne mit den wunderbarsten Effekten durch Sprache, Wohllaut, Phantasie, Ueppigkeit u.s.f. bezaubern könnte, daß er alle diese lockeren Künste und den Beifall der Zeitgenossen, welcher unmittelbar an sie geknüpft ist, verschmäht, daß er <128:> für jene ungroßmüthige Ruhe, für die flache Annehmlichkeit keinen Sinn, keinen Ausdruck zu haben scheint, und viel lieber im Bewußtseyn seiner schönen Heilkräfte Wunden schlägt, um nur das Herz der Kunst und der Menschheit ja nicht zu verfehlen. – Die Antike und (nicht das Christenthum, aber) die christliche Poesie des Mittelalters sind die beiden lichtesten Erscheinungen in der Weltgeschichte, aber für uns, die wir durch uns selbst gelten sollen und nach langer Gebundenheit wieder frei geworden sind, ist keine von beiden als Muster genügend. Bonaparte’sche Ketten drücken und werden auch abgeschüttelt werden; gedenken wir aber der andern und schrecklicheren Bande, in die unser Gemüth geschlagen war, damals als an Bonaparte noch nicht gedacht wurde; denken wir an die unzähligen kleinen Tyrannen, die unser Gemüth mit nichtswürdigen Autoritäten, elenden Pflichts- und Anstandsbegriffen, absoluten Vorschriften für das Handeln, Dichten und Leben zusammenschnürten, so wird es erlaubt seyn, sich auch selbst unter dem neuen Tyrannen frei zu fühlen. Gemüthsfreiheit ist mehr als die bürgerliche; denn sie ist die Ursache, diese die Folge; sie ist da, wenn auch in Wenigen; den übrigen entgeht sie nicht, denn inwiefern sie auch nur in Einem da ist, ist sie dennoch ewig. Kleist ist gemüthsfrei, also weder die antike noch die christliche Poesie des Mittelalters hat ihn befangen. Sie werden in der Penthesilea wahrnehmen, wie er die Aeußerlichkeiten der Antike, den antiken Schein vorsätzlich bei Seite wirft, Anachronismen herbeizieht, um, wenn auch in allem andern, doch nicht darin verkannt zu werden, daß von keiner Nachahmung, von keinem Affektiren der Griechheit die Rede sey. Demnach ist Kleist sehr mit Ihnen zufrieden, wenn Sie von der Penthesilea sagen, daß sie nicht antik sey. Ich nun habe oft darüber geklagt, daß sein Gemüth allzu antik, allzu prometheisch sey, daß die moderne Poesie in ihrer allegorischen Fülle zu wenig über ihn vermöge, und so war seine Legende, der Engel am Grabe des Herrn, über welche Sie schweigen, eine freundschaftliche Rücksicht auf meine Neigung und meine Wünsche für ihn. Aber auch dort offenbart sich überall das antike, die Gestaltung über die Allegorie weit erhebende Gemüth. Hartmanns Bild in seiner Farbenpracht, in seinen bestimmten Umrissen ist dennoch nur eine Hieroglyphe, gegen die Sinnlichkeit und Wirklichkeit der Kleist’schen Erzählung gehalten. Hierauf ist zwischen mir und Kleist eine nähere Verständigung erfolgt, und ich fühle jetzt, wie seine Werke jene antike Bestimmtheit auch nur an sich tragen, <129:> um der Reaction willen, zu welcher die Zeit ihn aufruft, um der neuen Aufklärung willen, die nun im Phöbus dem Zeitalter geboten werden soll, welches sich nur allzu sehr, durch Unglück bestärkt, zu einer falschen Mystik hinüberneigt. So wird er zu seiner Zeit auch das ächte Christenthum vollständiger ausdrücken als Kleist, und dieses ist mehr, denn als Nachahmer des Dante, Petrarca, Calderon, oder des Persiles und Sigismunda. Lassen wir doch jene verwelkten Kränze, welche die Stirne der alten und der christlichen Dichter zierten, in der heiligen Ruhe ihrer Gräber; sie sind nicht ihresgleichen, jene Neulinge, welche nach dem Lorbeer der Verstorbenen greifen. – Die im gegenwärtigen Briefe gegen Sie bewiesene Nothwehr ist nur auf Ihren Brief gerichtet. Sie selbst und vornehmlich Ihre herrliche Natur bleibt ewiger Gegenstand meiner Bewunderung und Liebe. Leben Sie wohl!

A. H. Müller.