Briefwechsel 83. Prag, den 16. December. Sie übernahmen es in Teplitz, mir von dem bewußten Jungen die Allgemeine Zeitung, die mir von Gott und Rechtswegen gehört, weil ich sie zum Voraus bezahlt hatte, abliefern zu lassen. Konnten Sie dieses nicht durchsetzen? Es ist zwar diese Zeitung, wie alle andere deutsche, heute nichts mehr als ein Repertorium eigener und nachgebeteter Niederträchtigkeiten; aber ein gewisser Completismus, der sie auszeichnet, macht es mir doch wünschenswürdig, sie zu besitzen. Jetzt, wo ich so getrennt von Ihnen lebe, daß mir kaum von Zeit zu Zeit ein leiser Laut von Ihrer Existenz zukommt, jetzt gerade, mein Freund, fühle ich recht, was es heißt, mit außerordentlichen Gemüthern auch nur gelebt zu haben. Ich versichere Ihnen, daß selten ein Tag vergeht, ohne daß irgend ein bedeutendes Wort von Ihnen, irgend eine Ihrer großen und kühnen Ansichten der Welt, selbst manche, die mir sonst willkürlich und phantastisch schien, sich lebendig vor meine Seele stellte. Kein Mensch hat mir im Ganzen so große Dienste geleistet als Sie. Keinem verdanke ich mehr von dem, was ich heute weiß und bin. Die Zeit, die ich mit Ihnen in Dresden zugebracht, ist die wahre Durchbruchsepoche des inneren Lichtes in mir gewesen, und den besten Theil der Ruhe, mit der ich das namenlose Unglück dieser Tage ertrug, schöpfte ich aus Ihnen. Ein solches Zeugniß kann Ihnen nicht unwillkommen seyn. Gottlob, daß Sie viel jünger sind als ich! Auf einem oder dem andern Wege kommen wir gewiß wieder zusammen; und wäre das Schicksal selbst grausam genug, um es zu verhindern, so ist es doch immer ein mächtiger Trost für mich, daß Sie existiren, daß Sie fortdenken, daß hier oder dort eine Flamme von Ihnen aufgehen muß, die die ferneren Prüfungen meines nächtlichen Weges beleuchten und mildern wird. <123:> Ich kann eigentlich nicht verlangen, daß Sie mir schreiben; denn ich bin nicht einmal im Stande zu beurtheilen, was Sie daran hindern kann. Aber, in sofern es nur möglich ist, lassen Sie mich von Zeit zu Zeit einige Worte der Kraft und Salbung vernehmen. Jede Zeile von Ihrer Hand wird einen großen Werth für mich haben; denn nichts können Sie mir sagen, was nicht auf irgend eine Weise die Tiefen meines Gemüths treffen sollte. Sie sollen neulich so treffliche Dinge über den Johannes gesagt haben; könnten Sie mir von diesen nicht irgend etwas zufließen lassen? Schweigen Sie nur nicht ganz; sprechen Sie von Christo und seinem Reiche, wenn Sie sich mit den Dingen der Welt nicht besudeln wollen, und genießen Sie zum Voraus den Genuß, den Sie mir durch Briefe bereiten können. Gentz. |
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