Briefwechsel 80. Prag, den 23. November 1807. Es brütet über meiner ganzen Existenz ein Etwas, welches ich Ihnen nur durch das englische Wort gloom mit einiger Deutlichkeit bezeichnen kann. Ich habe keinen bestimmten Gram, keine bestimmte Sorge, keinen bestimmten Gegenstand der Unzufriedenheit; aber sobald ich mich nur mir selbst überlasse, öffnet sich wie ein trüber Hintergrund, auf dem sich alles in und außer mir in finstern Gedanken reflektirt. Diesen Zustand kannte ich sonst nie. Ich lese, schreibe, und beschäftige mich viel, aber nichts flößt mir ein lebhaftes Interesse ein. Ich habe fast eben die Menschen hier wieder gefunden, die mir vorigen Winter den Aufenthalt so angenehm machten; aber nichts befriedigt mich; die besten sind mir gleichgültig, die übrigen oft widrig und ekelhaft. Ich kann auch nicht einmal sagen, daß ich mich sehr nach etwas anderem sehnte. Ich erwarte mit einer, mir selbst unbegreiflichen Indifferenz den Wink, nach Wien zu kommen. Ja, wenn ich recht aufrichtig seyn soll, so muß ich sagen: ich wünsche, daß er noch recht lange ausbleiben möchte. Und doch gibt es hier nichts, das mir gefiele. Die Idee, daß meine praktische Laufbahn für lange Zeit, wo nicht für immer geschlossen ist, trägt viel zu dieser Stimmung bei. Dieß weiß und fühle ich, ohne zu begreifen, warum <119:> gerade jetzt diese Idee so stark auf mich wirkt. In manchen Augenblicken komme ich mir einsam und verlassen vor, und so, als wenn die mich umgebende Welt, da ich nichts mehr wirken und schaffen kann, mich nur noch aus alter Gewohnheit, und par procédé, einigermaßen gelten ließe. Das fürchterliche Wetter trägt wohl auch das Seinige dazu bei, denn seitdem ich hier bin, ist Prag unaufhörlich in einen dicken Nebel, der manchmal in warme Regen ausartet, gehüllt, so daß kaum noch zwischen Tag und Nacht ein Unterschied obwaltet. Es scheint mir, daß es für diesen lästigen Zustand eigentlich nur zwei Heilmittel gäbe. Das eine wäre ein Aufenthalt in Dresden, denn ich bin versichert, daß ich im Zirkel meiner dortigen Freunde gar bald wieder zum frohen Leben erwachen würde. Diese Kur ist mir nun schlechterdings versagt. Das andere Mittel suche ich in der Rückkehr des Frühlings, einer Epoche, die erstlich an sich, dann aber auch dadurch besonders die wohlthätigsten Wirkungen für mich haben wird, weil ich höchst wahrscheinlich gegen den künftigen Sommer irgend einen entscheidenden Entschluß fassen werde, der mich meiner jetzigen Nichtigkeit entreißt. Diese Epoche muß aber die Natur erst heranbringen, und ich gestehe, daß mir vor dem Winter graut. Da Sie so oft meinen Muth, meine Lebenslust und mein Glück mit mir getheilt haben, theuerster Freund, so müssen Sie sich nun auch schon einmal meine Klagelieder gefallen lassen. Ich würde sie gegen Sie gewiß nicht anstimmen, wenn nicht der Grund dazu tief in meinem Innern läge. Nichts desto weniger kann alles sich bald wieder ändern, und darauf können Sie wenigstens mit Sicherheit rechnen, daß ich Ihnen nicht länger melancholisch erscheinen werde, als ich es wirklich bin. Ich finde kein Wohlgefallen an dieser Lage, und wenn ich mir auch nur einbilden könnte, daß es anders wäre, so würde ich nicht zögern, es zu thun. Schreiben Sie mir bald. Wenn Sie etwas erfreuliches, aufheiterndes wissen, so soll Ihr Brief mir doppelt willkommen seyn. Wenn er aber auch nur das Echo des meinigen wäre, wird er schon, weil er von Ihnen kommt, mir eine wahre Wohlthat bereiten. Ueberwinden Sie jetzt einmal die bekannten Hindernisse des Schreibens; vielleicht war Ihr freundschaftlicher Beistand mir wohl nie so nöthig, als in diesem Zeitpunkt. Sie allein können mir in die Seele reden. <120:> Wenn Sie mir etwas von Büchern, oder auch nur von literarischen Neuigkeiten zukommen lassen können, so thun Sie es. Recht dringend aber bitte ich Sie, Buol keine Ruhe zu lassen, bis er Ihnen das Journal de lEmpire (vom Monat Februar an) für mich gibt. Diese Lektüre wünsche ich ganz außerordentlich. Eichler wird alles für mich mit großer Bereitwilligkeit annehmen und expediren. Die heutigen französischen Blätter, die Antwort auf die englische Deklaration, und die Noten des Moniteur zu den Neuigkeiten aus London vom 20., haben mir böse Stunden gemacht. Doch in dieses Thema will ich nicht fallen; für heute sey es überhaupt genug; möchten Sie doch bald meine Sehnsucht nach einer Antwort stillen! Gentz. |
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