Briefwechsel 79. (Ohne Datum.) Teplitz, 1807. Liebster Freund! Daß Sie von der Allgemeinen Zeitung noch etwas träumen konnten, wundert mich. Wie sollte diese jetzt nach Teplitz kommen? Das einzige, was ich besitze, schicke ich Ihnen: ein Pack Frankfurter, und die beiden letzten, freien, Berliner. Diese Blätter kamen mir von Buol; ohne mich hätte auch diese Niemand hier gesehen; ich binde Ihnen aufs <116:> Gewissen, sie sorgfältig aufzuheben, und dafür zu haften, daß Buol sie zu seiner Zeit wieder erhalte. Wie es zugeht, daß es Ihnen dort so schwer wird, Nachrichten von Dresden zu erhalten, begreife ich nicht. Hier kommen fast täglich Chaisenträger her, und versichern, daß Niemand sie befrägt oder visitirt. Was nun mich betrifft, so gehe ich morgen oder übermorgen von hier über Raudnitz nach Prag, wo ich mich aufhalten werde, bis alles entschieden ist. Ich verlasse Teplitz, weil andere mich hier in Gefahr glauben, ob ich gleich selbst nicht daran glaube. Man hat besonders in Prag die größten Besorgnisse meinetwegen, und das Gouvernement sowohl, als das Generalcommando äußern sie auf eine Art, die wirklich zu ehrenvoll für mich ist, als daß ich mich nicht endlich darein ergeben sollte. Wie wenig Ursach ich habe, mich zu fürchten, werden Sie schon aus dem einzigen Umstande ermessen, daß der Feldmarschall-Lieutenant Graf Klenau, der das Obercommando an der hiesigen Grenze hat, und dessen vortreffliches Regiment, vielleicht das beste der Armee, alle Posten und Uebergänge strenge besetzt hält, und der Generalmajor Graf Bubna in einer Stube wohnen, die unmittelbar an die meinige stößt, daß diese beiden Männer, die mein Hierbleiben sehnlichst wünschen, mir mit Kopf und Kragen für meine Sicherheit stehen, und daß die, die mich fangen wollten, es unmittelbar mit ihnen zu thun haben würden. Indessen ist dieß einer von den Fällen, wo es besser ist, zu thun, was andere für das Weiseste halten, als was man selbst dafür hält. Hiezu kommt, daß ich denn einmal doch den Winter hier nicht zubringen kann, und daß die Gesellschaft täglich kleiner wird. Alle Clarys, Ligne, Bagration &c. sind seit einigen Tagen fort; der russische, englische und hannöversche Gesandte sind zwar noch hier, gehen aber in einigen Tagen sämmtlich nach Prag, wo nun der allgemeine Versammlungsort seyn wird. Die Nachrichten aus Dresden erreichen mich dort so gut, wie hier. Was ich während meines hiesigen Aufenthalts gearbeitet habe, ist kaum glaublich. Das Journal von meiner letzten Reise gewiß eines der merkwürdigsten Stücke für die Geschichte dieser Zeit ist über fünfzig Bogen stark geworden; dieß habe ich zweimal mit eigener Hand geschrieben; dann wenigsten dreißig Bogen Briefe nach Wien, zwölf Bogen nach England (wohin wir Kraus am 26. als Courier geschickt haben), zwölf Bogen nach Petersburg, vieler einzelnen Correspondenzen im Lande, <117:> in Dresden u.s.f. nicht zu gedenken. Meine größte Angst ist, daß es mir nächstens an Papier fehlen wird. Auch darum muß ich nach Prag. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie wohl mir ist, seitdem ich in Böhmen bin. Die Redlichkeit der Oesterreicher, ihre Treue und lebhafte Theilnahme an dem Unglück Preußens, wovon doch auch kein einziger ausgenommen ist, ihre guten Wünsche für die Zukunft, ihr sehr bestimmter guter Wille, ihre Hoffnung und Zuversicht alles das hat sie mir aufs neue schätzbar gemacht. Ich versichere Ihnen, daß alle Schmeicheleien, womit ich dort, wo ich auf meiner letzten Reise war, überhäuft wurde, mir nicht halb so viel Vergnügen gemacht haben, als die herzliche Aufnahme, die ich hier allenthalben finde. Es lebe das südliche Deutschland! Dabei bleibt es nun für immer, besonders seitdem ich sah, daß das nördliche, mit den paar Unzen esprit de calcul, die es vor diesem etwa voraus hat, doch auch weder die Welt, noch sich selbst vom Verderben und der Sklaverei zu retten vermochte. Ihnen, mein theuerster Freund, weiß ich nun vor der Hand keinen andern Rath zu geben, als daß Sie nach Prag kommen. Ganz offenherzig aber sage ich Ihnen, daß, da ich es mir natürlich nicht nehmen lasse, dort ausschließend für Sie zu sorgen, es mir lieb wäre, wenn Sie sich noch vier oder fünf Wochen in Ihrer jetzigen Lage halten könnten. Es versteht sich von selbst, daß, wenn dieß nicht ausführbar ist, ich Sie auch in acht Tagen mit Freuden aufnehmen, und gewiß nicht Noth leiden lassen werde, und daß diese Partie zu ergreifen, jeden Augenblick in Ihrer Gewalt steht; es wäre mir aber später deßhalb lieber, weil ich dann mehr pekuniäre Mittel in Händen zu haben, und mich besser Ihrer annehmen zu können hoffe. Mein Schicksal müssen Sie jetzt nun einmal theilen; ich glaube nicht, daß es für Sie einen andern Ausweg gibt, und für mich gibt es gewiß keinen erwünschteren. Wie oft haben Sie selbst gesagt, es müßte erst aufs Aeußerste kommen, wenn es wieder gut gehen sollte. Die Welt steht nicht still. Jeder Tag führt neue Erscheinungen und neue Combinationen herauf. Mit Schrecken und Gram sind wir nun endlich gesättigt; was könnte uns also noch aus der Fassung bringen? Ich finde im ganzen Ernst, daß jetzt die Zeit der Hoffnungen gekommen ist. Selbst das Schlimmste alles Schlimmen, das eigentlich einzig Schlimme, die Niederträchtigkeit des Zeitalters, muß sich endlich erschöpfen; sie sind gebeugt, sie können also <118:> beherrscht werden; wenn Bonaparte sie tyrannisirt, um sie zu unterdrücken, warum sollten dann nicht andere sie tyrannisiren, um sie aufzurichten? Nur gute Tyrannen! Die Freiheit lebt von selbst wieder auf. Ich war lange nicht so ruhig und so heiter als jetzt. Der eigentliche Stachel dieser großen Widerwärtigkeiten kann doch im Grunde nur die wenigen ächten und würdigen Gemüther treffen, die noch hie und da in der Masse verstreut sind; die ehrlosen fühlen ihn nicht, und das, was diese fühlen, erregt mein Mitleid nicht. Das Leiden der Masse selbst, die weder gut noch böse ist, reducirt sich zuletzt darauf, daß sie etwas ärmer wird, als sie war, woran doch im Grunde, aus höheren Gesichtspunkten betrachtet, so viel nicht liegt. Leben Sie wohl, und antworten Sie bald. Gentz |
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