Briefwechsel

70.

Teplitz, 2. Juli 1807.

Ihre Conjekturen über die mögliche Wendung der Sachen auf dem Kriegstheater theile ich dießmal nicht. Ich bin fest überzeugt, daß alles ohne Rettung verloren ist; und wenn übrigens auch noch eine Bataille stattfinden könnte, so wäre der einzige Gewinn dabei nur der – daß die Russen noch eine mehr verloren hätten. Gewinnen können sie keine; sie verstehen nicht Krieg zu führen. Sie mußten ewig Hülfstruppen seyn; Europa war verloren, sobald sie anfingen, Hauptfiguren zu werden.

Es freut mich sehr, daß B. meinen Entschluß, vor der Hand nicht sobald wieder als Schriftsteller aufzutreten, vollkommen billigt, und sehr würdig findet. Ich stieß in der Corinne auf folgende Verse, welche Michael Angelo, im Namen einer von ihm verfertigten schlafenden Statue, zur Antwort gab, und die mir mein Verhältniß zum Publikum sehr richtig zu bezeichnen scheinen:

Grat m’è il sonno, e più l’esser di sasso.

Mentre che il danno e la vergogna dura,

Non veder, non sentir m’è gran ventura.

Però non io destar, deh parla basso.

In der Corinne sind einzelne herrliche Stellen; das Ganze aber ist ein schlechtes Werk. Sie hat die äußersten Enden, England und Italien, zusammenknüpfen wollen; die Idee war vielleicht nicht übel, aber die Ausführung ist so plump und platt, daß man kaum begreift, wie ihr selbst nicht vor ihrer Produktion ekelte. Sehr fiel es mir auf, daß die Schlegel ihr nicht reinere Begriffe vom Shakespeare beibringen, sie nicht abhalten konnten, solch ganz erbärmliches Zeug, als die Darstellung von Romeo und Julie, in die Welt zu schicken. Uebrigens ist doch etwas in der Frau, was mich lebhaft zu ihr zieht. Diese beständige, dunkle, trübe Reue über die Vergangenheit, besonders in Ansehung verstorbener Personen, ist, wie Sie wissen, ein charakteristischer Zug meines Gemüthes; und diesen Zug habe ich noch in keinem andern Wesen so vollständig wieder gefunden, als in der Stael. Daher war ich auch immer überzeugt, daß wir, wenn wir zusammengekommen wären, große Freunde geworden seyn würden. Achtung verdient auch ihr immerwährendes Fortschreiten in der Literaur, und ihre, für eine Nichtdeutsche, bewundernswürdige Vielseitigkeit und Toleranz. <108:>

Ich hoffe, es geht Ihnen jetzt gut, liebster Freund! Aber wie steht es mit den Projekten, die uns vereinigen sollten?

Gentz.