Briefwechsel

68.

Dresden, den 30. Juni 1807.

Ich sende Ihnen die Corinna, die ich eben erhalte, uneingebunden freilich, aber ich wollte die Gelegenheit benutzen, die sich durch die Abreise unseres Freundes mir darbietet. – Mit Neuigkeiten warte ich heute nicht auf; der lebendige Freund würde die vortrefflichste Depesche verdunkeln. Indeß freut es mich, Sie meinen neulichen Bericht loben zu hören; ich liebe es, wenn man mir ein Zeugniß gibt, daß ich auch der lebendigen Thätigkeit fähig bin, und fühle mich mehr dadurch geschmeichelt, als selbst durch das einsichtsvolle Lob meiner Vorlesungen.

Uebrigens hat, man sage was man wolle, Bennigsen manövrirt, und so lange keine Capitulationen erfolgen, ist noch nicht alles verloren. Was man von Frieden spricht, ist nur zum Lachen. In den Nachrichten bis zum 19. (des Telegraphen) findet sich nichts von einer Ankunft Constantins im Hauptquartier zu Tilsit. Hat Bonaparte einen fünftägigen Waffenstillstand angenommen, bei dem er nichts, die Russen aber viel gewinnen können, so ist auch er erschöpft. Ferner ist nach den detaillirten Nachrichten bis zum 19. Insterburg (welches die Division Ney am 17. passirte) der weiteste Punkt gegen Osten, den die Franzosen erreicht haben, von einem Abschneiden des Essen’schen Corps wohl die Rede nicht. Hat dieses, wie es doch wahrscheinlich ist, da man vom Massena’schen Flügel auch seit dem 12. kein Wort weiter vernimmt, denselben geschlagen, so ist eine Operation Essens, der bekanntlich am 12. 20,000 Mann Verstärkung erhalten hat, in die Flanke der französischen Hauptarmee so unmöglich nicht. <106:>

Halten Sie mir diese militärischen Träumereien zu Gute. Es geht gewiß auch Ihnen und allen Vortrefflichen so, daß man strebt mit Hoffnungen zu übertäuben den Gedanken, daß es wohl Menschen, menschlichen Verstand und Kraft, aber keine Götter, kein Schicksal, kein Eingreifen überirdischer Macht mehr gibt.

Adam Müller.