Briefwechsel

63.

Prag, den 16. Mai 1807.

Durch Ihren letzten Brief und dessen Beilage haben Sie mir ein köstliches Geschenk gemacht. Im Grunde bedarf ich solcher Aeußerungen, wie dieser Brief sie gibt, weit mehr, als Sie der Versicherung meiner unwandelbaren Liebe bedürfen; denn in Ihrem großen und lebendigen Geiste können und müssen sich fast von Zeit zu Zeit noch große Revolutionen zutragen, und da ich Ihnen längst nicht mehr folgen kann, so ist die Besorgniß wenigstens verzeihlich, daß eine derselben mich von meiner Stelle wegspülen könnte; mit mir hingegen, da ich bis auf einzelne <95:> Entwicklungen wohl so ziemlich mein Ziel erreicht habe, kann nichts mehr vorgehen, das Sie von der Ihrigen verdrängte. Es ist mir daher nicht nur immer unendlich erwünscht, sondern gewissermaßen auch immer wieder neu, zu vernehmen, daß ich Ihnen unentbehrlich blieb.

Das Kleist’sche Lustspiel hat mir die angenehmsten, und ich kann wohl sagen, die einzigen rein angenehmen Stunden geschaffen, die ich seit mehreren Jahren irgend einem Produkt der deutschen Literatur verdankte. Mit uneingeschränkter Befriedigung, mit unbedingter Bewunderung habe ich es gelesen, wieder gelesen, mit Molière verglichen, und dann auf’s Neue in seiner ganzen herrlichen Originalität genossen. Selbst da, wo dieses Stück nur Nachbildung ist, steigt es zu einer Vollkommenheit, die, nach meinem Gefühl, weder Bürger, noch Schiller, noch Goethe, noch Schlegel in ihren Uebersetzungen französischer oder englischer Theaterwerke jemals erreichten. Denn zugleich so Molière und so deutsch zu seyn, ist wirklich etwas wundervolles. Was soll ich nun aber von den Theilen des Gedichtes sagen, wo Kleist hoch über Molière thront! Welche Scene, die, wo Jupiter der Alcmene das halbe Geheimniß enthüllt! Und welche erhabene Entwicklung! – Wie unendlich viel edler und zarter und schöner sind selbst mehrere der Stellen, wo er im Ganzen dem Gange des Franzosen gefolgt ist, z.B. das erste Gespräch zwischen Amphitryon und seiner Gemahlin! Und welche vis comica in den eigenthümlichen Zügen, womit er den Charakter des Sosias noch ausgestattet hat! – In Molière ist das Stück, bei allen seinen einzelnen Schönheiten und dem großen Interesse der Fabel (die ihm so wenig angehört als Kleist), am Ende doch nichts als eine Posse. Hier aber verklärt es sich in ein wirklich Shakespearesches Lustspiel, und wird komisch und erhaben zugleich. Es war gewiß keine gemeine Aufgabe, den Gott der Götter in einer so mißlichen und so zweideutigen Lage, wie er hier erscheint, immer noch groß und majestätisch zu halten; nur ein außerordentliches Genie konnte diese Aufgabe mit solchem Erfolge lösen. – Die Sprache ist durchaus des ersten Dichters würdig; wenn Sie nicht von Mackeln gesprochen hätten, würde mir kaum eine aufgestoßen seyn; diesen Styl nenne auch ich classisch. Die einzige Sprachunrichtigkeit im ganzen Stück fand ich S. 109: „an seinem Nest gewöhnt,“ ist ein offenbarer Fehler. Alsdann hätte ich das Wort „Saupelz“ weggewünscht, weil es doch etwas zu niedrig ist, ob es gleich da, wo es steht, nichts desto weniger gute Wirkung thut. <96:>

Nun sagen Sie mir doch vor allen Dingen, worüber Sie wahrlich nicht ganz hätten schweigen sollen: Wer ist denn dieser Kleist? Woher kennen Sie ihn? Warum hörte ich nie seinen Namen? Wie kommen Sie zu seinen Manuscripten, und wie kommt er zum Schlosse Joux? Wäre er etwa ein Sohn von einer Tochter des alten General Tauenzien? Haben Sie ihn vielleicht durch Gaudy’s kennen gelernt? Oder wie hängt das alles sonst zusammen?

Ich freue mich unaussprechlich auf Ihren Julianus. Da ich über dieses Kleist’sche Stück so ganz, so über alle meine Hoffnung ganz mit Ihnen übereinstimme, so ahnde ich zum Voraus, welchen Genuß mir das Ihrige bereiten wird. Lassen Sie es nur recht bald zum Vorschein kommen! Und entziehen Sie mir auch Ihre Vorlesungen nicht länger, als nöthig ist!

Jetzt muß ich auch, obgleich schüchterner, ein Wort über Schubert sagen. Mit der gespanntesten Erwartung griff ich nach diesem Werk; aber kläglicher war ich lange nicht getäuscht worden. Wenn es in Sanskrit geschrieben wäre, so bliebe mir doch wenigstens der Trost, die Züge anzubeten, im gläubigen Vertrauen auf Ihren Enthusiasmus. So aber ist es deutsch, und ich verstehe keine Zeile davon. Ja, ich darf auch nicht einmal dem Verfasser (ob mir gleich der Vortrag verworren, und die Oekonomie des Buches ganz wild und bodenlos scheint) nicht einmal einen Vorwurf darüber machen. Denn wer, der nicht in alle Geheimnisse der neueren Physik und Chemie eingeweiht ist, kann es unternehmen, dieß Buch zu studiren? Ich versuchte es, mich zum Verständniß zu zwingen (auf gut Fichtisch); ich schlug mich durch alle Geheimnisse „unseres großen (mir leider sehr fremden) Lehrers Winterl,“ durch alle Basicitäten und Aciditäten u.s.f., muthig hindurch, und hoffte immer endlich einmal auf etwas Faßlicheres zu stoßen. Nun hub aber die Geschichte mit den Gegensätzen an. Sind das Adams Gegensätze? Oder wieder ganz neue? Diesen Zweifel vermochte ich mir nicht zu lösen. Je mehr ich las, je finsterer wurde die Finsterniß. – Genug, ich mußte es aufgeben. Und anstatt mit H. zu sagen:

Soll jeder Wunsch bei deinem Werke schweigen,

Lehr’ uns nur noch zu leben, um zu sterben,

Wie Du zu sterben, um zu leben lehrest,

(welches ich übrigens sehr schön gesagt finde)

hätte ich lieber ausrufen mögen: <97:>

Lehr’ uns nur noch zu lesen, um zu lernen,

Wie Du zu lesen, um zu leiden lehrtest.

Von einzelnen Stellen, die mir gefallen haben, traue ich mich gar nicht zu sprechen, denn ich fürchte, ich habe sie ganz anders verstanden, als sie gemeint waren.

Ich habe denn auch Stollbergs Kirchengeschichte, nicht mit durchgängiger Befriedigung, aber doch mit großer Erbauung und vieles mit Entzücken gelesen. Von einer Menge anderer Bücher, die ich neulich durcharbeitete (unter anderm vier Bände einer höchst elenden „Reise durch Schweden,“ die mir den Arndt so verekelt hat, daß ich jetzt den „Geist der Zeit“ ganz zu vergessen suchen will – denn es macht einen zuletzt toll, daß derselbe Mensch so vortrefflich und doch auch wieder so grenzenlos schlecht seyn kann), citire ich Ihnen hier eins, welches zwar zu sehr außer dem Kreise Ihrer Beschäftigungen liegt, als daß ich Ihnen zumuthen sollte, es zu lesen, von dem Sie doch aber wissen müssen, daß es existirt. Es ist ein nachgelassenes Werk von Rulhières in vier Bänden: Histoire de l’anarchie de la Pologne; nach meinem Urtheil das beste historische, das je ein Franzose hervorgebracht hat, und gewiß eine der vorzüglichsten unter allen historischen Compositionen der Neueren; dabei von einem solchen Interesse, daß ich zwei Nächte aufgeblieben bin, um es zu verschlingen.

In etwa acht Tagen werde ich nun in Teplitz seyn. Dann wird es offenbar nur von Ihnen abhängen, ob wir uns von Zeit zu Zeit sehen sollen. Wenn Sie einige Tage bei mir wohnen wollen, lasse ich Sie von Dresden abholen und wieder zurückfahren, so daß Ihnen die ganze Expedition auch nicht einen Groschen kosten soll. Denken Sie wenigstens über diesen Antrag nach. Ich sorge auch dafür, daß Sie in Teplitz eine eigene, ruhige Stube finden, und also nach Herzenslust dichten oder faullenzen können, wie es Ihnen belieben wird.

Leben Sie wohl, mein sehr würdiger Freund!

G.

Vor einigen Tagen erhielt ich einen langen Brief von meinem Vater aus Königsberg, der dort recht ruhig, froh und gemächlich lebt. Es war mir eine außerordentliche Freude. <98:>