Briefwechsel

62.

Dresden, 9. Mai 1807.

Ich sende Ihnen, mein Freund, um Ihren Wünschen wenigstens theilweise zu genügen, die von mir herausgegebene dramatische Arbeit eines jungen Dichters, der vielleicht Besseres und Höheres als irgend ein anderer verspricht. Die Lektüre des zweiten Akts des Amphitryon wird Sie bewegen, mein Urtheil zu unterschreiben. Die äußere Ungeschliffenheit der Verse wegzuschaffen, hielt ich nicht für meinen Beruf, um so weniger, als ich den innern Rhythmus dieses Gedichts zu verletzen für ein Verbrechen gegen die poetische Majestät dieses großen Talents gehalten haben würde. Wäre der Verfasser nicht gegenwärtig im Schlosse Joux als Arrestant der Nachfolger Toussaints, so würde, was Sie Nachlässigkeit in der Sprache und im Versbau nennen mögen, wahrscheinlich daran nicht auszusetzen seyn. Ich besitze mehrere Manuscripte dieses Autors, die zu gelegener Zeit erscheinen sollen. Von meinen Vorlesungen, die Ihnen gefallen werden wegen der, ohne Unkosten der Idee, gelungenen Popularität, ist eine vollständige Abschrift nicht vorhanden; indeß hoffe ich sie Ihnen in drei bis vier Wochen gedruckt zu überreichen. Die Vorlesungen haben ihren guten Erfolg gehabt. Man hat sich wechselsweise über meine allzu katholische und über meine allzu protestantische, über meine allzu antike und dann wieder allzu germanische Ansichten beklagt, und hat mich endlich nicht ohne Befriedigung verlassen. Mir ist der unmittelbare Genuß an solchen öffentlichen Ausstellungen der Ideen das wesentliche, aber unendlich wichtig der Gewinn an Zuversicht des Geistes, an Gewandtheit der Organe, an Umfang und Allseitigkeit der Wirkungskraft. Ich halte diese Versuche, das Wesen eines beliebigen Gegenstandes, wie der deutschen Literatur oder der dramatischen Poesie, mit Bestimmtheit, Klarheit und Tiefe zu ergreifen, für nichts als Vorübung zu einer endlichen Darstellung des Gegensatzes, d.h. zu einem Buche, das auch die Anhänger klassischer Methode, und also vornehmlich einen Freund wie Sie, der in der klassischen Form sich die auffallendsten Eigenheiten des Geistes gefallen läßt, zufrieden stellen soll. Derweil begebe ich mich unter Gottes erbetenem Beistande wieder an meine divina comedia, an das gegen Sie von Freunden schon erwähnte dramatische Gedicht: Julianus der Abtrünnige. Von zwei Tragödien zeigt die erste Julianus Erhöhung und den Untergang des finstern Constantinischen Hauses, demnach die alte <94:> Welt in ihrer verfallenden Glorie; die andere, Julianus Tod, dagegen die triumphirende Christenheit, welche zu allgemeiner Beruhigung den Abtrünnigen selbst mit seinen Entwürfen und mit seinen heidnischen Glaubensgenossen gegen Morgen und Abend in den Triumph mit hinaufzieht. – Der Gedanke allgemeinen Todes und Untergangs soll durch das erste, der andere allgemeinen Lebens durch das letztere verherrlicht werden. An Discussion fehlt es nicht; unsere gemeinschaftlichen Freunde lassen das Gespräch nicht ausgehen. Indeß erkläre ich Ihnen aus innerstem Gefühl – Sie fehlen mir. Der Streit mit Ihnen hat etwas besonders stärkendes und erhebendes; bei einem Streite mit Ihnen findet ein gewisses gegenseitiges Hingeben und sich Anerkennen statt; mit Ihnen ist es ein Vorrecht Ihrer schönen inneren Natur, daß man so persönlich einander gegenüber bleibt, wenn man Sie herausfordert. Sie geben sich selbst in so gutem Verhältnisse gemischt mit dem Gegenstande des Streits; man bleibt mit Ihnen in der Region der Wärme und der Liebe, kurz da, wo die Menschheit hingehört, in der Mitte zwischen dem allgemeinen und persönlichen. – Sie bleiben vortrefflich und zu vollständigem Glück solcher Menschen, wie ich, unentbehrlich. Desto härter die Zeit, die uns von Ihnen so hoffnungslos abgeschieden hat. – Nicht immer haben die Abwesenden Unrecht; bei mir Sie gewiß nicht. Sind Sie zugegen oder auch vielleicht nur etwas entfernt, rebellirt man gegen Sie und Ihre Grundsätze und Ihre Intoleranz; sind Sie aber recht abgerissen, eigentlich abwesend, so kann man Ihrer nicht anders als mit großem und herzlichem Verlangen gedenken.

A. H. Müller.