Briefwechsel

59.

Ich nahm mir von einem Tage zum andern vor, Sie um ihre neuen Meinungen über die Moral zu befragen; ein heimliches, und ich darf hinzusetzen, heiliges Grauen schreckte mich aber immer davon zurück. Jetzt ist dieses Grauen mir erklärt.

Was Sie heute über die Liebe gesagt haben, belehrt mich schon hinreichend über Ihre Ideen von der Moral, und mehr als jenes mich erschreckt hat, kann dieses mich nie erschrecken.

Nein! Im Denken mag es immerhin kein Absolutes geben, und in jedem Fall mag das Bestreben, das Absolute in ein System zu bringen, eitel und thöricht seyn. Aber es gibt ein Absolutes, ein ewig Ruhendes und ewig Beruhigendes im Gemüth des Menschen. Im Gegensatz mit dem Fortschreitenden, welches freilich den Begriff von Leben charakterisirt, mögen Sie es Tod nennen; aber dieser Tod ist des Lebens Leben; und ohne diesen Tod ist das Leben nur eine grenzenlose Qual. Jetzt habe ich es gefaßt, was Sie unter dem Flüssigen verstehen; über dieß höllische Wort – das eigentlichste Emblem der Hölle – ist mir <91:> endlich das Licht aufgegangen. Ich wollte, ich hätte nie von diesem gehört. In diesem Flüssigen und in dem Frieden der Geschichte gehen alle meine Heiligthümer unter. Aber ich will sie mir nicht rauben lassen. Daß es Einen, und Einen meiner Liebsten auf Erden gibt, der sich von dieser bodenlosen Sophisterei fortreißen ließ, ist zwar störend und marternd genug für mich. Aber ich habe gottlob die Kraft und die Selbstständigkeit behalten, dem Spiel in Ihnen zwar mit weniger Ruhe – denn es ist ernster, durchgreifender, und besonders unverwundbarer – aber eben doch mit dem Neutralitätsgefühl zuzusehen, mit dem ich ehmals Fichte’s Ich und Nicht-Ich vor mir her flattern sah. Ich bleibe bei der wahren Liebe, die nicht ohne Ausschließung, bei der wahren Sittlichkeit, die nicht ohne Reue besteht, bei dem wahren Gotte, der etwas ganz anderes, als ein Anti-Gegensatz – horresco referens! – seyn muß, stehen. Da haben Sie mein ewiges Glaubensbekenntniß.

So bestimmt ich mich nun aber hier auch gegen Ihr Treiben von dieser Seite, gegen Ihre Ewige Judenschaft erkläre, so werth und theuer wird mir ewig der gute, böse Urheber dieser neuen namenlosen Geistesqual bleiben. Ich kann mir auch nicht einmal über die Heftigkeit Vorwürfe machen, mit welcher ich zuweilen diese furchtbaren Diskussionen führe. Es geht ja hier wirklich auf Tod und Leben; und wie klein würden Sie selbst von mir denken, wenn ich Revolutionen wie diese, die Alles, Alles, und das Liebste zuerst, vor meinen Augen niederreißen, in den Staub werfen, und unter den aufgerissenen Boden stampfen wollen, mit ruhiger Gleichmüthigkeit im Augenblicke des Kampfes behandeln wollte. Ich glaube vielmehr, Sie müssen mich wegen des tiefen Abscheus, mit dem ich Ihre Lehren anhöre, lieben. In Ihren bessern Stunden werden Sie gewiß das, was mich von Ihnen mit so heiliger Gewalt zurückstößt, doch nicht ganz als Thorheit verlachen.

Lesen Sie hier unterdessen einen Aufsatz in einer englischen Zeitung, und freuen Sie sich mit mir, daß so etwas doch noch irgendwo geschrieben werden darf.

Donnerstag, 21. März 1807.

Gentz. <92:>