Briefwechsel

55.

Dresden, den 4. November 1806.

Ich habe Ihnen nicht geschrieben, denn was vermochten meine Worte in der Fluth der Begebenheiten und des Unglücks um Sie her! Sie schreiben mir in dieser Zeit noch, wo ich es nicht begreifen kann, wie die Erinnerung an einen stillen contemplativen Freund in Ihnen aufkömmt. So antworte ich mit der Zuversicht, daß keiner der bevorstehenden Schläge des Schicksals meine Worte vor Ihnen überschreien wird. Dieß Blatt wird zu Ihnen gelangen, wenn auch nicht in Ollmütz, doch weiter gegen Morgen hin. – Mit großen, mir selbst unbegreiflichen Erwartungen kam ich nach Dresden, der Glaube an die Erfolge praktischer Wirksamkeit in dieser großen Sache war lebendig geworden, ich empfing die ersten Nachrichten aus Franken und Schwaben wie himmlische Botschaften, nicht mit übertriebenem Glauben an Reinheit und Religiosität der Absichten, aber mit der Hoffnung, wie ich Ihnen schrieb, daß dieser Krieg in seinem eigenen Feuer sich ausbrennen, läutern und reinigen werde; darauf, daß die Flamme gar nicht einmal zum rechten Auflodern kommen würde, hatte ich nicht gerechnet. – Seit den Tagen bei Ulm ist mir stumpf zu Muth, ich gehe in meinen unsichtbaren Kreis zurück, wo es nur Angst und Trost gibt, die die Gestirne herabsenden, wo alle irdische Gestalten verschwinden vor dem ewigen Geist der Menschheit und der unsterblichen Kirche. Warum thürmen sich diese Berge, warum sinken die Höhen der Erde, warum steigen diese Dämonen? Damit es keinen Blick aufwärts <87:> mehr gebe, als den zum Himmel. – Aus dieser Ruhe der Betrachtung stört mich Kraus und Ihr Brief vom 3. – Ja, mein Freund, Ihre Leiden, Ihr persönlicher Schmerz erschüttern mich, wie billig. Sie sind mir der Gedanke dieses Krieges; waren Sie der Körper, wie Sie nicht so unsichtbar, als es scheint, die Seele des ersten Entschlusses gewesen sind, so würde es anders stehen. – Jene andern, deren auf ewig bejammernswürdigen Verfall ich im Innern meines Herzens beklage, leiden doch nur für das Wenige und Gebrechliche, das sie waren, für verlorenes Irdisches, des bleibenden, unsterblichen Erbtheils mehr oder weniger sich unbewußt. Sie aber, mein Freund, leiden am Kummer, den ich besser verstehe. Mitten im heiligen Glauben an die Unsterblichkeit des Rechts oder an das Recht zur Unsterblichkeit, sehen Sie dem Untergang der letzten endlichen Formen des Göttlichen zu. Die Hölle hat sich unter uns aufgethan, sie verschlingt die letzten irdischen Reste des Werkes Christi. – Leben Sie wohl, mein theurer Freund!

A. H. Müller.