Briefwechsel

41.

Dresden, 16. December 1805.

Man spricht seit gestern mehr als jemals vom Frieden, und durch einen Zufall erhalte ich erst gestern 15. December zwei Ihrer Briefe, den von Brünn und einen älteren aus Wien (circa vom 30. October); der erstere sehr wichtig, in so fern vom Frieden durch die Mediation eines gewissen dort sogenannten „Hauptes der Christenheit“ die Rede ist. „Ein Friede, wie wir ihn wünschen; besser, weit besser, als er nach unsern Unglücksfällen zu erwarten stand.“ — Ihr letzter Brief (10. December, Neisse) ist ein authentischer Abdruck Ihres Herzens. Die wirkliche Friedenspräliminarie sey welche sie wolle, von Selbstständigkeit ist nun doch wohl außer England nirgends mehr die Rede. Pfui! und ich ertrage den Gedanken nicht, daß Lord Harrowby wirklich mit diesen Negociationen zusammenhängt. Wie die Sachen jetzt stehen, bete ich zum Himmel um einen Separatfrieden; so weit ist’s gekommen. Wenn nur der Continent allein negociirt, und die Helden von Trafalgar nicht für diesen <70:> Frieden gefallen sind! Nur eine freie Stelle, wenige Acres breit in der Welt, nicht um darauf zu leben, so günstig ist das Schicksal nicht, nur, wenn auch hundert Meilen entfernt, zu wissen: dort befiehlt der Bonaparte nicht! – Wie kommt es Ihnen vor? Werden Sie leben in diesem enthaupteten Oesterreich, ohne die Berge, die stillen, die eisigen? Könnten Sie den Leidensweg – Neisse, Neustadt, Jägerndorff – wieder zurückmachen? Ich kenne ihn wohl! Welche Schmerzen habe ich von Nicolsburg bis Breslau ausgestanden! welche sonderlich in Troppau! Konnte ich denken am 4. Mai, daß noch vor Ablauf dieses Jahres jenes die Schlachtfelder der Hölle seyn würden, und im April mit Ihnen auf der Gloriette, unter dem Schall der Glocken von Wien her, daß im November der Bonaparte leibhaftig im Schlosse der Maria Theresia Hauptquartier halten würde! Nun gut! es kommt die Stunde, da der Tempel des Herrn gereinigt werden wird. Er selbst wird in seiner Glorie kommen. Niemand wird es verstehen, wohin der Finger des Höchsten zeigt, und keine Physik will gestehen, daß das Element und seine Bewegungen, seine Lebensoffenbarungen zusammenhängen mit den Strömungen des Geschlechts, das darin lebt und webt. – Halten Sie mich indeß nicht für astrologischer, als ich bin. Um Geschäfte durchzuführen, um unermüdet zu correspondiren mit denen, die keinen Frieden schließen, um das Evangelium göttlicher Rache zu predigen, um zu arbeiten, um zu schreiben – bin ich entschlossener und gerüsteter als je. – Um diesem allem indeß endlich wahre Gestalt, Zweck und Einheit zu geben, muß mit Ihnen conferirt werden. Dresden ist der geeignetste Ort dazu, Ihre Reise mag nach Nordwest oder zurück nach Südost gehen. Derweil werde ich gewissenhaft correspondiren, keinen Posttag überschlagen, zumal in zwei bis drei Tagen die Briefe ihren Lauf zwischen hier und Breslau vollenden. Frühere Sünden werden Sie mit der Ungewißheit Ihres Aufenthaltsorts entschuldigen.

Den 18. December.

Wenn Sie doch nur einsehen möchten, daß ich ein vorzüglicher Commissionär bin, ein gewissenhafter, wie keiner. Einen Koffer mit englischen Büchern vierzehn Tage im Hause haben, und so gewissenhaft alles abliefern – für diese Gewissenhaftigkeit, für diese praktische Resignation hatten Sie doch sonst ein so zärtliches Gefühl. Bücher sind der einzige <71:> irdische Besitz, für den ich etwas geben und fahren lassen mag, und doch hätte ich Ihnen den Schatz in Ihrem Koffer, der mir überdieß noch hundertmal wichtiger erscheint als Ihnen, nicht um eine Stunde entziehen können. Nicht wahr? ich bleibe Ihr Geschäftsträger? – Was machen denn Ihre Bücher und meine Kiste?

Den 20. Dezember 1805.

Mir ist doch, als wenn sich in Berlin etwas regte. Haben Sie die kleine Piece über den Frieden gelesen? Sie ist mit so unerhörter Eile verbreitet, und ich könnte mir fast den Johannes so denken, wenn er populär für Norddeutschland schreiben wollte. Da aber die Instruktionen des Grafen Haugwitz den Lüneviller Frieden zur Basis der Negociationen gelegt haben sollen, so wird mir alles wieder so zweifelhaft, daß ich nicht weiß, ob wir selbst im Falle eines Krieges das Rechte und allein zu Erflehende erwarten dürfen. Wo richten sich denn Ihre Hoffnungen (die irdischen) hin, und welche innere Quellen hat diese Reihe von Unglücksfällen wieder in Ihnen eröffnet? Es sind die ersten Ihres Lebens, die ersten Ihnen angemessenen; denn über Wandel und Mißgeschick des Privatlebens sind Sie doch gewiß weit erhaben, nur der Gram ganzer Völker kann Sie ergreifen. Ihre Briefe und die durchpassirenden Fremden bezeugen es, daß man Ihre Abreise, Ihren Schmerz habe sehen müssen, um den großen, tragischen Moment in seinem ganzen Umfange zu erkennen. Jetzt, wieder vertrauend auf Menschen und Völker, fortificirt sich Ihr außerordentliches Herz so ganz durch sich selbst; alle Disharmonien der Zeit haben sich in der buntesten Folge so vollständig vor Ihrem großen Auge entwickelt; Sie scheinen mir so glücklich zurückgekehrt zu den einfachen Elementen der Welt, daß ich Ihnen eine neue und noch höhere Laufbahn jetzt voraussage. Ich sehe von allen Seiten Tröstungen sich erheben, und wer wird bei dem großen Werke der Beruhigung dieser zerrütteten Welt nothwendiger seyn, ganz abgesehen von seinem übrigen großen Beruf, als der einzige vollständige und immer wachsame Zeuge der allmähligen Zerrüttung – Sie? – Gegen die Schlacht von Austerlitz gibt es viel mehr Trost als gegen die österreichischen (früheren) Unglücksfälle. Wir durften es uns sagen: bei aller fast ritterlicher Vortrefflichkeit des Kaisers durfte das Petersburger Kabinet allein nicht das neue Gleichgewicht bestimmen. Daß von der vierten fast ausschließend nordischen <72:> Coalition mehr zu erwarten sey, sagt mir ein vielleicht schwärmendes Gefühl. Das katholische Europa ist nun unterdrückt; es ziemt dem protestantischen Europa, wie es jenes durch allmählige Wunden wehrlos gemacht hat, durch die Heldenthat einer solchen Befreiung die ganze frühere Schmach wieder zu versöhnen. So gewinnt Ihre Meinung in Ansehung Preußens eine andere Gestalt, und so sehe ich im Geist einen neuen Tag über unser Vaterland anbrechen. Diese Eine Katastrophe kann und wird den Continent retten, und welche Aussichten für Europa und die Zukunft! – Adieu, mein Freund! Ich erwarte mit Sehnsucht Briefe von Ihnen.

A. H. Müller.