Briefwechsel

39.

Dresden, den 29. November 1805.

Kraus hat Ihren Koffer durch die Leipziger Postkutsche hieher in den Engel adressirt, der Wirth im Engel hat ihn an mich verwiesen und ich habe ihn natürlicherweise in Beschlag genommen und bitte Sie mich baldigst wissen zu lassen, was damit gemacht werden soll. Geöffnet mußte <66:> er der Accise halber werden. Wenn Sie sich eine Vorstellung machen könnten, wie mich der bloße einstweilige Nießbrauch dieser Kostbarkeiten glücklich macht, so würden Sie mir gewiß, besonders unter so kritischen Umständen, die Bücher noch auf einige Wochen lassen. Für den Burke (Werke, Porträt, Leben), Peerage und Staatskalender, die ich als unbezweifelt für mich bestimmt ansehen kann, erfolgen die herzlichsten Danksagungen. Bei einigen andern Sachen bin ich zweifelhaft, besonders bei dem mir sehr nahe angehenden, göttlichen Malthus, den Sie schon besitzen. Es ist zwar die 2. Edition von 1803, aber da die Ihrige, schon in Wien erkaufte nach gründlicher chronologischer Arbitrage doch nicht die von 1798 seyn kann, so schließe ich daraus, daß es schon die 2. von 1803 seyn müsse, die gegenwärtige also doppelt vorhanden sey, welches überflüssig wäre. Roscoes sehr interessante Geschichte Leos X. könnte leicht in Bezug auf die noch immer nicht aufgegebene katholische Geschichte des Siècle de Charles V. gebracht werden, doch schweige ich und werde meinem gütigen Freund schon ohne Ende danken, wenn er ihn mir nur bis in die ersten Monate des nächsten Jahres zur Lektüre läßt. Die Stücke von Cobbet und Courier d’Angleterre sind ganz unvollständig und alt, interessiren auch Niemand mehr als mich. Von Bisset, history of George III., Cobbet, Parliamentary register, Liverpool, on the coins of England, eleven reports, Edinburgh review und Literary Journal wünsche ich nichts als vierwöchentlichen Gebrauch. Indeß bitte ich Sie mir unmittelbar und zwar über Breslau und Bautzen zu schreiben, was und wohin ich senden soll; und wenn Sie selbst alles und sogleich verlangten, so soll mit der Versendung auch nicht eine Stunde gezögert werden.

Ihnen über andre Dinge zu schreiben, wäre wohl nicht die Zeit. Zweifel und Hoffnung und jede mögliche Farbe, die ich meinem Briefe geben könnte, scheint mir unpassend. Wer sich wie Sie nur an sein eigenes großes Herz zu halten braucht, bedarf der schwachen Tröstungen unthätiger Freunde nicht. Glauben Sie nur an die ewige Treue und die beständige Seelengegenwart dieses unthätigen Freundes. Nicht ohne tiefen Jammer des Herzens kann ich an unsern Tag in Schönbrunn und an die schöneren in Gutenstein denken. Aber England wird bleiben!

Ihren Brünner Brief habe ich nicht erhalten. Wie oft ich Ihnen schreiben wollte, beweist die Einlage.

A. H. Müller. <67:>

Die Theorie der Winde Ihres Lamark mag wohl ganz nützlich seyn, wenn von Feuerbau oder Anlegung der Wind- und Sparöfen die Rede ist, aber was fängt die Naturwissenschaft damit an? Der Begriff der Wärme ist für sich schon gerade so platt als der des Lichts, wie es die Aufklärer meinen. Ich weiß nichts gemeineres, als sich in erhabenen Dingen durch so etwas in seiner Angst beruhigen zu lassen, wie bei dem ehemaligen Straßburger Erdbeben durch Steinkohlenflötze. Wir, selbst ich, sind in unserer Haut noch so schlecht, unter dem Schauder vor dem Erdbeben bei Neapel Athem zu schöpfen, wenn irgend ein Mensch die Veranlassung dazu in einer Verstopfung des Vesuvs finden will, sich wohl gar sicher zu glauben vor weiteren Erschütterungen, wenn es im Vesuv nur Luft kriegt. Gott bewahre, daß jemals so etwas großes mit ordinären natürlichen Dingen zuginge! Solche Entdeckung brächte eine Schmach mit sich, die schimpflicher wäre als alle Angst. Auch Sie, mein Freund, reden mit empörender Ruhe von den schwarzen Nordwestwolken über dem regnenden West. Wissen Sie, daß ich diese Nordwest- (eigentlich und richtiger Nordnordwest) Wolken in den letzten Tagen des September sehr gut kenne? In Südpreußen waren Sie fürchterlich trocken mit unerhört hohem Barometerstande. Und darunter können Sie ruhig weiter schreiben, rhythmisch schreiben! Nichts desto weniger haben Sie für die Physiognomik der Luft ungemein viel Sinn. Möchten Sie sich verstehen, ein eigentliches Wetterjournal zu schreiben, Sie sind viel zu vortrefflich, als daß sich nicht auf diesem Wege die Angst und so die Astrologie erzeugen sollte.

Einem der Gestirne Kundigen, wie Sie, ist es ein leichtes, die wichtigsten Grade waltender Constellationen vor der Seele zu haben und bei jeder Wetterveränderung die Ephemeriden nachzuschlagen, besonders wenn täglich die positiven und negativen Culminationsmomente angegeben sind, wie ich es von der Wiener Ephemeride voraussetze. – Die Entgegenstellung der vents alisés und vents polaires im Lamark ist richtig geahndet, die Erklärung aber ist schlecht. Es ist offenbar dasselbe, was ich unter magnetischen und elektrischen Winden verstehe.

Zurückbehalten in Dresden sind nur Burke’s Works, Portrait und Life und das kleine Peerage. Alles übrige, von dem ich mir wenigstens den Nießbrauch, den einstweiligen Besitz – etwa bis zum Frieden – gewünscht hätte, ist gewissenhaft zurückgeliefert worden, freilich mit <68:> wehmüthigen Empfindungen. Die ersten vierzehn Tage meines Lebens, wo ich einmal nichts als englische Bücher gerochen habe. Farewell!