Briefwechsel

35.

Dresden, den 14. Oktober 1805.

Schon seit beinahe acht Tagen bin ich hier, um einige Zeit hier zu bleiben. Jedoch jede Berührung der Welt, von jeder Seite, ist mir unbeschreiblich schmerzhaft; vielleicht sind Excesse der Speculation, oder mein zu ungebundener Umgang mit mir selbst daran schuld.

Mein Verlangen nach Ihnen vermag ich nicht auszudrücken, und doch wird es lange nicht befriedigt werden; ich bin so frei, als man seyn kann, aber es wollen dazu so viel Entschlüsse gefaßt werden, und so vieles will sich nicht fügen. – Aus Ihrem letzten Briefe habe ich von neuem gesehen, daß nichts mir so entspricht, wie Sie, nichts mich stärkt, wie Ihre Worte. Sie meinen es so alt und ernsthaft mit mir und der Welt; wenn Sie nur nicht immer mit dem praktischen Leben und mit der Welt, für die ich nichts tauge, locken möchten! Wohin soll ich denn? – Der Gedanke einer ausgebreiteten Thätigkeit kann mich mit großer Gewalt <61:> ergreifen, ich würde in Geschäften neben Ihnen eine Lust finden, die meine Kräfte, meine Jugend, meinen Geist, kurz alles befriedigen würde. Aber wie, wo, wann? – Sagen Sie mir. Irgend einen Dienst anzufangen, bin ich zu alt, und wäre ich es auch nicht, so können selbst Sie mir nicht sagen, welchen? Mein Talent allein kann ich doch nicht gebrauchen lassen, und wer unter allen Menschen, als einzig Sie, verlangt mich selbst? Wo ist die Gemeinschaft, an die man sich anschließen mag, wenn nicht jene unsichtbare heiligste? – Sie selbst bekräftigen mich darin, wenn Sie sogar an diesen Krieg nicht glauben wollen, ja auch über meinen Umgang mit den Planeten spotten.

Astrologie treibe ich wirklich, d.h. Umgang mit der Natur im hohen Styl. Noch gewährt sie mir nichts als Furcht und Angst, aber Liebe wird es werden. Mein frommer Freund! möchte sich mir die böse Opposition in den Gestirnen dieser zweifelhaften Tage lösen, möchte sich mein Leben hier oder dorthin entscheiden, möchte mich die große Sache von Europa nur auf der entferntesten, dunkelsten Stelle brauchen, und o – möchte ich Sie, Einziger, sehen und hören! Sie mit Ihrer prächtigen Stimme, mit Ihrem Organ der Gutmüthigkeit, vor allem mit Ihrer Passion des Mitleidens! – Meine Liebe für Sie wandert durch ein Art Ecliptik Ihrer einzelnen Liebenswürdigkeiten. Wie verstehe ich besonders diese Passion des Mitleidens, das Zeichen, worin meine Liebe gerade heute steht! Sie haben mir nur ein Wort darüber gesagt, und mich hat die Wahrheit ergriffen. Adieu, mein liebster Gentz.

A. H. Müller.