Briefwechsel

27.

Johannes Müller an Adam Müller.

Darüber, daß ich Ihnen zu viel zu sagen hatte, ist meine Antwort so lange ausgeblieben. Ihr Brief, Theuerster, ergriff mich wie nicht leicht einer; dem Buch hatte ich die Klaue angemerkt, und nun sah ich den Löwen, und zugleich so viel, daß es bei Achtung, Hochachtung, nicht bleiben könne, sondern Liebe seyn werde und müsse zwischen uns, der ich mich dann willigst hingab. Allein dazumal und seither waren meine besten Stunden mir genommen: eben über eine Adresse an mein Vaterland vor den vierten, wie ehemals vor den ersten Theil der Geschichte desselben, fand mich Ihr Brief, und obwohl sie nicht weitläufig ist, war ich davon so voll, daß ich unmöglich im ersten Augenblick etwas anderes schreiben konnte. Hierauf kamen mit unseligem Drang andere Arbeiten, wo ich nocht nicht heraus bin; der Cid gab mir zuletzt viel zu thun. Auch war Jacobi, nebst andern Ausländern, hier. So geschah, daß aus den 60-70 Briefen, die sich häuften, in erstohlenen Viertelstündchen gemeiniglich die beantwortet wurden, womit es schnell abgethan war. Dieses zur Erklärung; ich werde suchen aus dieser Unordnung für immer herauszukommen; aber einmal wissen Sie nun, daß Stillschweigen bei mir zufällig, nie ein Zeichen eines kalten Herzens ist. So lese ich nun ruhig Ihre zwei Briefe wieder.

Die Titulaturen vorerst unterbleiben künftig; es dringt mir wahrlich Lächeln ab, wenn wir uns so anreden. Ihre Reise nach Wien hat mich sehr gefreut; nicht jeder erkennt den genialischen, trefflichen Mann: daß Sie so sich an ihn gerissen fanden, gewann mich Ihnen sehr; ich erkannte daraus die Erhabenheit Ihres Blicks und die Kraft des Genies über Ihr Herz. Die gemeinen Sterblichen wissen von diesem Alcibiades nur, daß er seinem Hunde den Schwanz abgeschnitten hat; wie können auch Menschen, welchen der Augenblick alles ist, von augenblicklich auffallenden Eigenheiten sich zu dem erheben, was von so eines Mannes Thun und Wesen ewig ist und bleibt! Sie gedenken der Eigenheiten, und so, daß ich dafür Sie umarmen möchte; denn ich sehe, daß Sie auch in meine sich finden werden, wie ich in die Ihrigen; das ist die unser würdige Freundschaft, daß wir ohne Zwang uns einander zeigen dürfen und verstehen. Darum ist sie so selten, weil sie Kraft und <42:> Schmiegsamkeit zugleich voraussetzt. Darum ist's für mich ein Fund, worüber ich vor Freude zittere, einen der Seltenen zu treffen. Auch nehme ich den Bund unserer Herzen für geschlossen an, und wenn ich Sie sehe, werde ich wie mit einem alten Freunde umgehen; denn was in Ihnen ist, ist ja eben, was ich von jeher in dem ÷áëïí ÷\áãáäïí aller Jahrhunderte fand und liebte. Da hat nun auch der Unterschied der Jahre nicht das geringste zu bedeuten: was wir suchen und lieben, altert nicht; es brennt in mir dieselbe Glut wie vor dreißig Jahren und die Näherung eines Geistes, wie der Ihrige, macht sie neu auflodern. Also, Adam Heinrich und Johann (zum erstenmal gefällt mir unser Geschlechtsname) haben einander entdeckt, und sie sind Eins von nun an, brüderliche Freunde. Ich komme wieder auf Ihren Brief.

Ja wohl ist eben die Charakterlosigkeit der Ursprung alles Jammers, der ist und drohet; und dahin, daß wir, ich will nicht sagen Gott, daß wir der Freundschaft, daß wir uns selbst nicht mehr glauben, hat uns dieses aufgeklärte Jahrhundert gebracht. Von uns sogenannten Protestanten, von uns sogenannten Berlinern, unseren hyperkritischen Kritikern ist das zumal wahr. Es ist uns Armen schon zu schwer zu lassen, daß Einer die Ilias und Odyssee habe singen können; wie sollten wir fassen, daß Einer, daß Wenige den Götzen, vor dem die Welt anbetet, erschüttern, zertrümmern könnten! Darum, mein Freund, halten wir einander ja empor, nie auch so muthlos, nie gemein zu werden wie die Großen; es kann einen, wenn man einschläft, wohl so beschleichen; dafür aber ist Freundschaft, um zu elektrisiren. Vergib mir, Jüngling, wenn – ich glaube es zwar nicht – ermüdet von Jahren und Erfahrung, ich je mein selbst vergäße. Ein Freund soll der dem andern zugeordnete Genius seyn.

Kann ich Ihnen – doch ja, Ihr Vater schickt Ihnen ja auch Bücher – ich will Ihnen, sobald ich selbst es habe, das vierte Buch meiner Geschichte senden; vermuthlich künftige Woche, denn ich bin erstaunlich begierig, ob die Vorrede Ihr Herz ergreift? Und es ist nun schon so weit unter uns, daß wir uns einander ins Gesicht loben und tadeln dürfen. Die Zufriedenheit meines Freundes ist mein Kampfpreis, das Band, welches der Ritter von dem Geliebten seiner Gedanken sich gern geben läßt; aber auch zur Ordnung rufen lasse ich mich gern und küsse die schlagende Hand, die ich liebe. <43:>

Von der Schweiz war der Geist gewichen; wie vermochte das morsche Zimmerwerk sich zu halten? Auch ist er nicht wiedergekommen, obwohl in einzelnen er blieb; darum spreche ich auch fast nicht zu der Regierung – sie ist mir nichts; was sie ist, ist sie nicht durch sich – aber zu der zerstreuten Gemeinde, da in einer Sennhütte, dort hinter dem Pflug, oder einsam in vergessenen Thälern. Das ist die unsterbliche Gemeinschaft der Heiligen des Credo, welche Bonaparte nicht deportiren kann, die allzeit war, ist und seyn wird allenthalben; daher die Freude, wenn zwei davon einander finden; dadurch sind wir verwandter und näher dem Alten und der Nachwelt, als der Umgebung. Weit entfernt hiervon der die Wolke für Juno umfassende Kosmopolitismus. Das Individuelle, Nächste ist Jedem angewiesen, und darum sind die von Thermopylä, die Geliebten von Theben, uns lieber, als die Zeitgenossen, weil jene ganz waren, die sie ihrem Land an denselben Tagen seyn sollten, diese aber Schwätzer sind, wo agirt werden sollte.

Könnte doch, könnte, was Sie, Edler, so herzlich wünschen, deutscher Charakter aus dem Sumpf wieder herausgehoben werden, worin er unter einer Last von publicistischem und philosophischem Bavardage so tief versunken liegt! Nur darum recensire ich oft und viel, weil nur unter der Adresse eines Journals etwas an das größere Publikum gebracht werden mag. Es däucht einem, daß auch hin und wieder etwas Gutes keimt, aber zur That gedeiht es nicht. Wie könnte es, wenn die, so das meiste zu verlieren haben, blind und verstockt es hemmen! Doch meine Hoffnung ist auf Bonaparte: er wird es so arg machen, daß zuletzt man doch noch zu dem Gefühl kommen dürfte, es sey doch zu arg.

Ganz richtig halten Sie Deutschland für das Centrum der europäischen Civilisation. Italien war, wie Spanien, längst unterjocht, ohne Einfluß; Frankreich längst zusammengestoben in Ein Paris, ohne den Ruin des Ganzen; aber lassen Sie die hundert Stämme der Deutschen, die hundert Mittelpunkte unserer Kultur, die Werkstätte unseres Literarwesens in Einen Pfeiler des Weltreichs schwinden, – es ist aus mit Europa. Sicilianische Vespern, ein Mithridatisches Würgen möchte es unterweilen geben, aber nie wieder sproßte die ungeheure Eiche, zu der im Sturm die Völker flüchteten. Ich bin ganz in vollem Ernst überzeugt, daß wenn (was sehr wohl möglich ist) Deutschland verloren geht, Amerika und Südrußland oder Mittelasien die einzige Freistätte sind, <44:> ich selbst werde nie vor dem verächtlichen Abgott, den die Furcht und Kleinheit schuf, die Knie beugen; ich habe auf alle Fälle gedacht, und für andere Sitze von Kultur Plane entworfen.

Mein Buch über die Weltgeschichte ist noch gar nichts von dem, was es seyn sollte. Stellen hat es, aber es muß überarbeitet werden. Ideen dazu und Feuer fehlt, glaube ich, mir noch nicht; wenn aber je meine Homilien ohne mein Wissen langweilig werden, dann, lieber Müller, werde ich Ihre Warnung nicht so aufnehmen, wie der Erzbischof die des redlichen Gil Blas, und ich zähle darauf, dann in Zeiten von Ihnen zu hören: Solve senescentem mature sanus equum.

Einen Beitrag für die Zeitschrift! Liebster, wie gern, wenn ich könnte! Jetzt ist's nicht möglich. Urtheilen Sie selbst. Ich habe Herders Cid mit Vorrede auszustatten; noch drittehalb Bände meiner Schweizergeschichte für die neue Ausgabe zu revidiren (und da kommen einige tausend Berichtigungen und Zusätze hinein, – eine mühsame Flickerei); den fünften zu schreiben (der gewaltige Szenen hat); bei fünfzig Recensions-Artikel zu erledigen; dann meine Briefe (deren ich leider jetzt zweihundert revidiren muß, die ich einst Gleimen schrieb, und man die Thorheit hat, drucken zu lassen); die nicht durchaus ablehnbaren Gesellschaftszerstreuungen – und dann doch auch meine Studien, mein Lustwandeln unter den Zeiten und Stämmen der Menschen. Allein, es wird mich schon ergreifen, wenn ich ein Stück sehe, wenn Sie mir öfter schreiben; was der Geist mir eingibt, sollen Sie haben; und wenn Sie glauben, daß es der Sache förderlich seyn könnte, so sagen Sie ganz öffentlich, daß wir Freunde sind, und ich auch an dem Journal so viel Theil nehmen werden, als andere Arbeit zuläßt. Dank für die Nachricht von meinem Briefe an Gentz. Ich umarme Sie im Geist aufs wärmste, herzlichste.

Berlin, den 14. Juni 1805.

Oben am Rande.

Wo ist denn eigentlich Ihr K…? Den theuren Ort mag ich mir nicht so ins Blaue hinein denken. Adam, wo bist Du?

Wenn es angeht, und Sie es gut finden (ich habe in solchen Dingen keinen Willen, den nicht auch Sie), so könnten Sie vielleicht meine Vorrede zum vierten Theil in das Journal aufnehmen; so käme sie mehr herum; nicht jeder kauft ein so großes Buch.[1]

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