Briefwechsel

24.

Den 15. Juni 1805, aus Südpreußen.

Mit ermatteter Seele und durch eine fremde Hand melde ich Ihnen, daß ich Ihre beiden letzten liebevollen Briefe mit aller Stärke meiner treuen Freundschaft gegen Sie empfunden habe, aber nicht beantworten kann. Nämlich aus meinem Fieber, das bis anfangs dieses Monats dauerte, haben sich Nachwehen von innern, besonders Magenkrämpfen entwickelt und mir zwar nicht den Tod, aber doch häufige Bilder des Todes und solche unaufhörliche Schmerzen gebracht, die uns vielleicht noch mehrere Tage von unmittelbarer schriftlicher Unterhaltung abhalten werden. Mein erstes rückkehrendes Kraftgefühl soll Ihnen ausdrücken, was ich für Sie empfinde, wie es Ihnen schon überdieß im voraus gehört. Stärken Sie mich oft mit dem Balsam Ihrer köstlichen Briefe, Ihres kindlich-männlichen, so ausnehmenden Charakters und Ihrer Liebe gegen den gewiß nächsten, den Sie auf der Erde haben. Nichts kann meine Genesung mehr beschleunigen.

Hier und jenseits Ihr

A. H. Müller.

19. Juni 1805

Einigermaßen wieder hergestellt, und das Leben, wenn es auch noch nicht lächeln will, wieder mit Ruhe und Klarheit anschauend, muß ich, mein liebster Freund, endlich ein Wort der Liebe mit Ihnen sprechen, das Ihnen aber nur gedämpft und leise die Empfindungen zurückgeben kann, die Sie so deutlich, so wohlklingend, so göttlich einschmeichelnd warm mir in Ihrem zweiten Briefe ausgesprochen haben. Wenn einer von den wenigen, die den unsichtbaren, aber gewaltigen Körper des noch verbliebenen Vortrefflichen und Göttlichen auf Erden tragend emporhalten, uns so ruft, die Last, die er tragen hilft, zu theilen, uns mit fast gleicher Sehnsucht wie die Rückkehr des unterdrückten Guten und Gewohnten selbst ruft, so sollten wir folgen; und doch können wir nicht. - Nicht als wenn ich unauflösliche Verbindungen im gewöhnlichen Sinne des Worts geschlossen hätte. Ich würde zwar im höheren Sinne keine andere als solche schließen, und kann es auch nicht, da meinem Herzen wie meinen Gedanken jetzt wie immerdar die Treue das Höchste und Kostbarste ist. Mein <37:> gegenwärtiger Aufenthalt ist mir, meinem trägen stillen Sinn, meiner Wuth zu predigen, zu bilden, zu lehren, vortrefflichen Stoff wie stille Pflanzen zu schützen und zu erziehen, mich von der Freundschaft und Anhänglichkeit eines kleinen Kreises reiner Gemüther wie einspinnen zu lassen, daß die brennenden Strahlen einer heißen Zeit nur wie mit Regenbogenfarben durch das Gewebe hineinspielen - ist diesem allem sehr angemessen. Das nun wirklich in Gang kommende Journal, worüber schon der Vertrag mit Fröhlich abgeschlossen ist, schließt mich immer fester an die Erdscholle, auf der ich lebe, die überdieß, seit die Zeiten denken können, nie gebebt hat, vor Ueberschwemmungen ziemlich sicher ist, und außer den furchtbaren Wolken über ihm nichts verdächtiges hat.

Wirklich kann ich es mit Ruhe und ohne Sehnsucht überdenken, daß ich die schönen Länder in Südwesten und besonders unsere göttliche Britannia vielleicht nie sehen werde; daß ich mir nach Ihrem Beispiel, mein Freund, den Weg in die Schweiz, nach Rom, in die Bibliotheken und Kunstschätze von Paris vielleicht (durch meine literarischen Absichten selbst) verschließe - das alles läßt sich leicht verschmerzen, schwerer die Vorstellung der langen Intervalle von Trennung, die immer die kurzen Stunden der theuren Discussion und Ideenvermählung mit Ihnen, mein liebster Gentz, unterbrochen werden. Wenn Sie schon sagen, ich sey Ihnen nothwendig, was soll ich erst von Ihnen sagen, mein Vorbild, meine Schule? Nicht ganz befriedigt mich der Gedanke, die Erinnerung Ihrer Vortrefflichkeit, der Majestät und wollüstigen Weichheit Ihres Charakters und Ihres Gesprächs. Ich habe immer die Regung eines gewaltigen Triebes nach dem Brode, nach dem Fleische des Lebens, nach dem wirklichen Wiedersehen des Freundes, nach dem Handeln, nach dem Eingreifen in die Systeme der Weltbewegung - das, was Sie mein praktisches Talent nennen. Aber wie ihn befriedigen? Hier fühlen wir unsere Sterblichkeit, und daß an einer Stelle doch nicht Körper und Geist, Bücher und Ruhe in die gegensätzliche Identität hineinwollen. Wie soll ich also Ihren herrlichsten Brief beantworten? - Wenn der Bau dieses Planeten besteht, und so gewiß als er besteht, werden zwei in einander, wie wir, mit Schicksal, Antheil, Herz und Geschäft so verschlungene einander wiedersehen. Wann, wo? Darüber entscheiden die Mächte, die uns einmal, und wieder, und immer wieder einander zugeführt haben.

A. H. Müller. <38:>

Ist 8. und 9. Juni bei Ihnen im Wetter nichts Eigenes vorgefallen? Beide Tage waren hier sehr verdächtig. Den 8. Abends 9 Uhr feurige Lufterscheinung; Sonntag 9. den ganzen Tag Heerrauch, mit allgemeinem Dampf von Steinkohlen bei drückender Hitze; hierauf Trockenheit mit widerspenstigen, am ganzen Himmel herum laufenden Winden, bis heute, wo der erste Regen fällt.