Briefwechsel 23. Aus Südpreußen, 27. Mai 1805. Warum Ihr englischer Courier gerade den 12. und nicht den 13. Mai von Berlin hat abgehen müssen! Denn gerade den 12. Mai, und Gott ist mein Zeuge, daß es nicht früher möglich war, sind Abends zwischen 6 und 8 Uhr alle Ihre Bestellungen besorgt worden. Vom Tage der Abreise bis heute hat das Fieber ununterbrochen angehalten, und daß es jetzt zu Ende geht, schließe ich daraus, daß mir der Himmel solch schweres Kreuz wie Ihren Brief auf den Hals schickt, und er mich doch sonst nie zu stark zu überladen pflegt. - In Breslau, nach Abgang des Briefes an Sie, habe ich drei Tage hindurch manches tiefes Trübsal erfahren, und den Friedrich mit den Paketen konnte ich bei großer Magerkeit der Kasse nur mit erster ordinärer Post, Mittwochs den 8. abschicken. In allen Wirtshäusern war nach näherer und früherer Gelegenheit täglich durch Friedrich und den Lohnbedienten nachgefragt worden, die ways and means mit ausgesuchter, fast geiziger Sparsamkeit berechnet, alle Wege der Assignation auf Berlin an meinen Vater versucht, Tagelang mit sich selbst berathschlagt, ob die reitende Post benutzt werden könne, - alles beim Fieber und in guten Stunden bei einer Mattigkeit, die weder Gehen noch Stehen erlaubte. Friedrich wurde Mittwochs mit <33:> den Packeten expedirt, wegen des Geldes an meinen Vater assignirt, und ich blieb allein im Fieber in Breslau zurück. Meine praktische Incapacität ist also auch wohl durch gegenwärtigen, höchst verdächtigen Fall noch nicht erwiesen. Vielmehr gibt mir mein Glaube, wie ich hier auffallend gesehen habe, einen Gleichmuth, der vielleicht die wesentlichste Basis praktischer Brauchbarkeit seyn möchte; ein Gleichmuth, den nicht, wie Sie sagen, schon Wolken, sondern in der ganzen unendlichen Welt auch nur Wolken, und was mit ihrem geheimnißreichen Leben zusammenhängt, stören können. Vertiefen Sie sich nur immer mehr, mein Freund, in die Wunder derjenigen Region, in welcher Ihr ewiger Schnee, Ihr angebeteter und angestaunter, anfängt, und wenn ein so finsterer und portentos warmer Regen fällt, sehen Sie immer nur auf Ihren Reaumur'schen Thermometer; - gerade in Breslau im Fieber dachte ich einigemal an Ihren warmen Regen mit nachfolgendem Gewitter im Sommer 1797. - Solche verrätherische, gehaltene, durch 24 Stunden ausgedehnte Tücke, zu der alle 32 Winde des Himmels, die sonst so vorschnellen und bereitwilligen, schweigen müssen, ist doch ohne gewisse himmliche Verabredung, ohne bewußtseynsvolle Wuth der grausamen Wolken nicht denkbar. - Sie mischen mit recht ausgesuchter teuflischer Bosheit diese Furchtbarkeit unter die vorsätzlich gesteigerten, strafenden Absätze Ihres Briefes, Sie, mit Ihrem Organ der Gutmüthigkeit! - Ich lasse das, aber ehe ich es vergesse, schreiben Sie mir ja doch in Ihrem ersten Briefe, in welcher Periode Ihres Lebens sich Ihre Berg-, Schnee- und Eisliebschaften angefangen haben. Diese Notiz ist mir für die Berechnung Ihrer Bahn und Ihres Umlaufs sehr wichtig. Es ist und bleibt sehr wunderbar, wie durch den unendlich bunten Vorgrund Ihres Lebens, durch alle die muthwillig von Ihnen Ihrer göttlichen Natur anempfundenen, aufgebundenen und annegociirten prosaischen und absoluten Tendenzen, hie und da in Ihnen selbst unerklärlichen Erscheinungen und Begierden der heilige Hintergrund Ihres höheren Daseyns hervorschimmert. - Ich habe Ihnen oft in Wien großes Unrecht gethan, Ihre Reue, Ihre Ewigkeit der Höllenstrafen, Ihr Durst nach gerechter Rache erscheinen mir jetzt in der Entfernung im wahren Lichte; alle diese Begriffe haben in Ihnen eine gewisse kindliche Ursprünglichkeit, eine Art von Frühlingsgrün, dessen Betrachtung oder Andenken mir eine unbeschreibliche Freude macht. Ganz nahe daran grenzt das pflanzenartige Streben nach den Höhen, die Liebe zu den Pflanzen <34:> oder feuerartig aufsteigenden Bergen, die Scheu vor dem Wasser, und daher die Wollust am Eise und Schnee. (Sehr, sehr natürlich! Noch, und noch auf lange drohen nur Wasserrevolutionen, die Zeit des Feuerregiments liegt weit, noch weit hinter dem tausendjährigen Reiche.) Ferner, in unmittelbarer Berührung damit, die rührenden Aeußerungen des Familiensinns, der Kultus von Vater und Geschwistern. Sie bis in die kleinsten Züge Ihres Wesens lehrreichster Mensch! Wahrhaftig, man studirt Geologie, wenn man Ihre Geschichte, wie ich, aufmerksam verfolgt. Zur Zeit hüte ich mich noch, Ihnen diese Ihre Geschichte gegensätzisch, wenn Sie es so nennen wollen, hinzudemonstriren, aber es kommt die Stunde, wo die hier versammelten Data zusammengegriffen werden. Bis dahin sollen Sie mir nicht vorwerfen können, daß ich nicht jedes Atom von Ihnen sammelte und aufbewahrte zum Gericht. Nun zurück zu dem Gemüll, wie Sie sich ausdrücken! Mittwoch war der Friedrich abgereist, ich blieb den Donnerstag, heftigen Fiebertag, allein, im Vertrauen auf Gott und meinen Freund, der mich in mein glückliches Asyl, aus dem Sie diesen Brief erhalten, zurückführte. Jetzt habe ich bereits seit acht Tagen den Bericht von Friedrich über die Ablieferung sämmtlicher Packete. Es ist also jetzt hier nichts weiter zu erfragen, noch zu betreiben. - Befestigen Sie auch nicht zu sehr den Gedanken von meinem praktischen Mißcredit; wir beide sind doch im Grunde zu complicirt, als daß wir über uns nach einer Transaction über das ganze Leben Schlüsse machen sollten. Man kann zwölf Mondeswechsel hintereinander falsche Prognostika über die Wolken stellen, und doch der erste Wetterprophet unter den Lebenden seyn. - Unter den Leiden der Reise, die nun freilich so ziemlich verschmerzt sind, beherrschte mich der Gedanke während des Fiebers und auch in den ruhigen Stunden, wenn ich über den Sinn dieser Reise von Ihnen hieher und die dazwischen liegenden Schmerzen nachdachte, daß hier und im ganzen Leben der Weg von Liebe zur Liebe immer durch eine Art von Tod führe. 29. Mai 1805. Ich dürste nach einer wiederholten Lektüre des Burke'schen Briefes an Sir Hercules Langrishe, denn die irischen Katholiken sind fast aller meiner jetzigen Gedanken beständiger Gegenstand. Glauben Sie nicht, daß ich nur einen Schritt von Ihrer Meinung über die Sache abweiche; aber es <35:> ist erlaubt, sie für einen Augenblick etwas mehr realistisch zu betrachten. Das Journal von Cobbet verleitet mich dazu. Die Aufklärung, die Humanität kömmt doch endlich einmal in die Lage, den Katholicismus vertheidigen zu müssen. Ich kann es nicht ohne innige Freude lesen, wenn in England mit einer Art von Religiosität über das Festhalten an dem Glauben der Edwards und der Henrys gesprochen, wenn sogar der ganze Zorn der Nation gegen die Stuarts, besonders gegen Jacob II., vorzüglich ihren politischen Verbindungen und der Unnatürlichkeit selbiger zugeschrieben wird. Der höhere Katholicismus soll und wird diese sich für ihn erhebende Stimme ablehnen, aber die Aufklärung muß doch einmal, wie jede Krankheit, ihren ganzen Cyklus durchlaufen, und hier ist bei der Opposition des Königs und ihrer eigenen Hartnäckigkeit vorauszusehen, daß sie zuletzt in ihr eigenes Fleisch wüthen müssen. - Nach einem Fiebertag, wie dem gestrigen, will ich lieber nichts weiter über die Sache sagen; aber aufhören werde ich nicht, mir Vorwürfe deßhalb zu machen, daß ich nicht ganze Tage mit Ihnen darüber gesprochen. Schöne Tage von Baden und Gutenstein! Unvergeßliche Diskussionen! - Ruhe und Bücher habe ich schon jetzt bei einander, aber keine Burkes, Porcupines, Broughams, Ireland- und Slavetrade-Bücher u.s.f. Ich bin sehr neugierig auf meine Kiste; wenigstens werde ich darin doch auch die letzten Cobbets finden. Senden Sie mir doch irgend ein englisches Zeitungsblatt mit den Whitbread'schen Debatten über Lord Melville. War die parlamentarische Sagacität des Pitt wirklich so groß, wie ich sie mir aus dem Correspondenten zusammenbuchstabire? - Ja Ihre Cataloge! Die werden abgeschrieben auf englischem Papier in groß Octav, um der english Collection als Art von Register wohlgebunden angehängt werden zu können, und erfolgen mit einer der nächsten Posten. Jetzt bin ich so schwach, krank und müde, daß mir das Briefschreiben unendlich sauer wird. Stärken Sie mich bald durch ein paar recht freundliche Worte. A. H. Müller. <36:> |
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