Briefwechsel

20.

Ich danke Ihnen für Ihre in jeder Rücksicht befriedigende, und wahrhaft vortreffliche Erklärung. Es war von Hause aus ein falsch aufgefaßtes, und - lassen Sie uns das wahre Wort gebrauchen - ein thörichtes Unternehmen, mir den Gegensatz beibringen zu wollen. Eben so gute, vielleicht bessere Köpfe als ich, und die auf alle Fälle vor mir den Vorzug hatten, daß Sie ihr Leben mit Spekulation ausfüllen konnten, sträubten sich gegen die Kant'sche, Fichte'sche &c. Philosophie einzig darum, weil es ihnen bei dem besten Willen (wie Garve &c.) unmöglich war, ihre in andern Systemen verhärteten Fibern nach jener neuen Melodie zu bewegen; und Ich - zwar keiner Schule unbedingt zugethan, aber doch lebend und webend in einigen göttlichen absoluten Ideen - Ich, der ich auf die Spekulation kaum so viel Zeit verwenden kann, als aufs Mittagessen - ich soll, in meinem vierzigsten Jahre, eine durchaus neue, alles zerstörende Ansicht der Welt annehmen, und mich in einen Strudel stürzen, von dem ich kaum begreifen kann, wie Sie, mit ganz andern Kräften ausgerüstet, fünfzehn Jahre jünger, frei wie die Luft, leicht und beweglich wie sie, nicht jeden Augenblick darin zu Grunde gehen! - Denken Sie doch selbst, lieber Müller, ob das nicht eine reine Unmöglichkeit ist.

Was die Heftigkeit betrifft, die sich in unsern Gegensatzgesprächen (und nur in diesen, merken Sie wohl) oft meiner bemeistert, so begreife ich im Grunde nicht, wie es damit anders seyn sollte. Wenn Sie mir sagen: das Sopha liebt mich, in so fern ich es liebe, oder ähnliche Blumen, so höre ich dies mit Ruhe und Heiterkeit an; wenn Sie aber Liebe, Moral und Gott, in dem Sinne, in dem ich sie nur denke, und ewig denken werde und muß, solange ich mich nicht in den Gegensatz <28:> stürze (welches nicht denkbar ist), - wenn Sie diese ewigen Ruhepunkte meiner Seele als Schimären behandeln, und so darüber sprechen, als wären sie längst abgethan, - was kann ich thun, als entweder ein Stillschweigen beobachten, welches dem der Wegwerfung nur allzu ähnlich seyn würde, oder in lebhafte Worte ausbrechen, um mich gegen einen Angriff zu retten, der mich mit dem Schrecklichsten bedroht!

Das, was man ruhige Discussion nennt, fand immer zwischen uns nur statt, wenn ich Sie passiv anhörte. Musik gibt es nur, wenn erst die Instrumente zu einander gestimmt sind. Sie verstehen nicht zu stimmen, oder ich bin nicht stimmbar. Genug, so viel weiß ich, daß - dem Geist wahrer Analyse ganz zuwider - unsere Unterredungen - über den Gegensatz nämlich - immer mit deutlichen oder doch ziemlich deutlichen Begriffen anfingen, vom Dunklern ins Dunklere fielen, und zuletzt mit solchen Worten endigten, die ich, nach meiner Art zu sehen, Gewäsch nenne, und ewig nennen muß. Wie geht das zu?

In sofern also, als Ihr hiesiger Aufenthalt an der Hoffnung, sich mit mir über den Gegensatz zu verständigen, hängt, spreche ich Sie von heute an los. Ueberhaupt will ich Ihnen, weder ausdrücklich noch stillschweigend, eine Regel über Ihre Plane vorschreiben. Ich werde mich freuen, Sie länger um mich und neben mir zu wissen; ich werde mich trösten, Sie zu verlieren, weil das Beste von Ihnen mir doch immer bleibt. Allerdings gibt es tausend Bande zwischen uns, die nichts mehr lösen kann; und wenn Ihnen, der doch alles, was nicht seine Hauptangelegenheit angeht, nur als untergeordnetes Gut schätzt, diese Bande so theuer und so reizend sind, urtheilen Sie, was Sie mir seyn müssen, da ich Ihr Höheres nicht kenne, oder vielmehr nicht erkenne, nicht annehme, und nicht liebe, mein Höchstes aber mit jenen Banden unmittelbar zusammenhängt, folglich in mir alles Harmonie und Befriedigung seyn muß.

Ich bleibe beim Alten und „gebe kein Anderes.

Den 22. März 1805.

Gentz. <29:>