Briefwechsel 1805. 17. Wien, den 9. Januar 1805. Ihr Brief vom 28. August war eine der erschütterndsten, entzückendsten und wundervollsten Erscheinungen, die seit langer Zeit vor meiner Seele aufgingen. Von Ihren Klagen verstehe ich zwar nichts, weiß allerdings kein Wort mehr von dem, was ich Ihnen aus Teplitz geschrieben haben soll, und kann nur so viel, aber das auch mit felsenfester Zuverlässigkeit behaupten, daß es mir nie eingefallen ist, nie eingefallen seyn kann, irgend etwas, das mir von Ihnen kam, mit Gleichgültigkeit, mit Leichtsinn, oder mit Geringschätzung abzufertigen. Wie es mit dieser Sache eigentlich zusammenhängt, überlasse ich künftiger Auflösung. Daß ich aber nicht verdiente, als ein von Ihnen Losgerissener betrachtet zu werden, daß ich die Erinnerung an die großen und heiligen Stunden, die ich mit Ihnen verlebte, nie irgend einem Zauber der Gegenwart aufopferte, daß ich mir zu allen Zeiten der charakteristischen Größe und Einzigkeit meines Verhältnisses mit Ihnen deutlich und lebendig bewußt war - das würde, wenn ich Zweifel daran gehabt hätte, nun schon durch den Eindruck, den Ihr letzter Brief auf mich gemacht hat, bis zur höchsten Evidenz erwiesen seyn. Dieser Brief ist freilich von der Art, daß er mich ergriffen haben müßte, wenn auch Ihre (eben so willkürliche als grundlose) Voraussetzung richtig wäre. Dann aber würde er anders auf mich gewirkt haben, als jetzt der Fall war. Ich würde etwas einem Sprunge, einer Revolution ähnliches gefühlt, das schnelle Zurücktreten in einen mit der Gegenwart allmächtig <22:> contrastirenden Zustand würde mich beunruhigt und niedergeworfen haben. Nicht von dem allem geschah. Ich las Ihren wahrhaft bewundernswürdigen Brief, so wie ich ihn am Tage meiner Abreise von Dresden im Jahre 1802 gelesen haben würde. Die Ideen und Empfindungen, die er in mir erregte, schlossen sich sanft und natürlich an das, was in meiner Seele vorging, an; es war nichts befremdendes, nichts peinliches, nichts zerrissenes oder zerreißendes in diesem Moment; es schien mir mit Einem Worte, als hätten Sie mir alles, was ich hier las, erst gestern in andern Wendungen gesagt; ein Umstand, der Respekt von Ihnen verdient, wenn Sie erwägen, daß denn doch dergleichen Stücke, wie Ihr Brief, mir jetzt nicht häufig geboten werden. Die Basis unserer Verbindung betrachte ich also als unverletzt und vollkommen unverändert. Ob Sie mir gleich Ihre Schrift nicht zugeschickt haben, so habe ich sie dennoch gelesen, und wieder gelesen, und mit möglichstem Fleiße studirt. Daß sie mich befriedigt hätte, kann ich, ohne mich an Ihnen und der Wahrheit zu versündigen, nicht sagen. Es versteht sich von selbst, daß von einzelnen hellen, hohen, genialischen, zum Theil göttlichen Gedanken, unter uns in einem gründlichen Urtheil nicht die Rede seyn kann. Denn wäre Ihnen um Huldigung zu thun, so könnte ich leicht auf Ihre Schrift eine Lobrede schreiben, die doppelt so stark wäre, als Ihre Schrift. Wir gehen auf Totalität aus, und begnügen uns mit nichts geringerem. Und da muß ich Ihnen denn gestehen, daß in dieser Rücksicht mir jede Ihrer Unterredungen lieber war, als Ihr Buch. Wie, und warum es sich so verhielt, kann ich Ihnen schriftlich schlechterdings nicht nachweisen, und bin fest entschlossen, es nie zu thun. Ueber diese Sache muß gesprochen werden. Ihre Schrift ist mir selbst der überzeugendste Beweis davon. Wenn Sie, so wie ich, die Unmöglichkeit, auf dem von Ihnen gewählten Wege Andere für Ihre Ansichten zu gewinnen (und das wollen Sie doch), gefühlt hätten, so hätten Sie nicht geschrieben, oder nicht so geschrieben. Gott bewahre mich, zu behaupten, oder auch nur zu meinen, daß der Gegensatz mit Ihrer Schrift steht oder fällt. Ich leugne es Ihnen nicht, daß ich Zweifel, und starke Zweifel wider den Gegensatz selbst nähre; ein neuer Beweis, daß ich Sie, und Ihre Werke, und Ihre großen Bestrebungen nicht aus den Augen verlor. Aber stände auch der Gegensatz in meiner Seele so fest, als er in der Ihrigen steht, mit Ihrer Schrift wäre ich dennoch nicht einig. <23:> Ich bekenne Ihnen sogar, und sollte dies auch aufs neue Sie kränken, daß mir die fragmentarische Behandlung eines so großen Gegenstandes, die Sie sich in dieser Schrift erlaubt haben, mehr als einmal den Zweifel, ob Sie jetzt (z.B. indem ich dies schreibe) auch wohl noch selbst über die gewählte Methode mit sich zufrieden seyn müssen, erzeugt hat. Kurz, tausend Ursachen für Eine (Ihr letzter Brief enthält deren wenigstens drei) bestimmen mich, in eine schriftliche Verhandlung über diese schwere und wichtige Materie mich unter keiner Bedingung einzulassen. Wir müssen uns sehen und sprechen; und dies hängt ausschließend von Ihnen ab. Ist es Ihnen mit dem, was Sie mir in Ihrem Briefe sagten, wahrer, und besonders beharrlicher Ernst, so kommen Sie nach Wien. Sie sind frei, wie die Luft, sobald Sie wollen. Pekuniäre Schwierigkeiten können Ihnen nicht im Wege stehen; denn ich halte Sie in allem schadlos, ohne, wie Sie wissen, darauf auch nur mehr Werth zu legen, als etwa auf die Frage, wer, wenn wir an einem Orte wohnten, den andern am ersten besuchen sollte u.dgl. Belohnt werden Sie für Ihre Reise gewiß; denn wäre auch alles, was Sie sonst hier finden könnten (selbst Kurnatowski mit eingeschlossen, welches doch viel gesagt ist), in Ihren Augen von keinem großen Werthe, so darf ich es doch nach Ihren letzten Erklärungen gegen Sie geltend machen, daß Sie mich wieder finden, und zwar so empfänglich, so lernbegierig, so unbefangen, so wahr, und so ächt, als ich nur je gewesen seyn mag. Gefällt Ihnen das Ding nicht, so reisen Sie (mit Kurnatowski!) im Frühjahr zurück, und sehen unterdessen einige der schönsten Naturgegenstände, die Ihnen nur je zu Augen kommen können. Hier leben Sie so ruhig, wenn Sie wollen, als im tiefsten Südpreußen. Was haben Sie für Einwürfe gegen dieses Projekt? Haben Sie etwa das Recht, sich zu Schulden kommen zu lassen, was Sie mir in Ihrem Briefe, nicht ohne einige Bitterkeit, obschon ohne allen Grund, vorwerfen - nämlich in den Schlingen gemeiner Gegenwart befaßt, die Vergangenheit und die Zukunft zu vergessen? Sie können und sollen in Ihrer jetzigen Sphäre nicht fortleben; das werde ich Ihnen beweisen, wenn Sie (um Ihren alten Ausdruck zu brauchen) sich mit mir einlassen wollen; gewännen Sie auch durch Ihre Reise nach Wien nur das, mit mir ein vernünftiges Wort über Ihre Lage und Bestimmung zu sprechen, so <24:> hätten Sie, nach meiner Meinung, viel gewonnen. Und für so viel Genuß, als nöthig ist, um Sie für eine Fahrt im Winter zu entschädigen, stehe ich mit Leib und Leben. Erkären Sie sich hierauf unverzüglich; fällt Ihre Erklärung bejahend aus, so werden Kurnatowski und ich das Unmögliche thun, um Ihnen die Ausführung auf alle Weise zu erleichtern und zu versüßen. Von meiner Sehnsucht, Sie auf einige Zeit zu besitzen, sage ich Ihnen nichts. Ich will gar nicht interessirt bei dieser Sache erscheinen, ob ich gleich gestehe, daß ich es in einem nicht zu berechnenden Grade bin, und daß Ihre bejahende Antwort mir einen der frohesten Augenblicke verschaffen würde, die ich seit vielen Jahren gehabt haben mag. Der gegenwärtige Brief ist zu einfach, als daß ein Mißverständniß dabei auch nur möglich wäre. Verwerfen können Sie meinen Plan, aber meine Absicht verkennen, schlechterdings nicht. Zum Ueberfluß mag Kurnatowski Zeuge seyn, ob es mir mit dem hier ausgedrückten Wunsche ein Ernst ist, ob ich es verdiene, von Ihnen geliebt zu werden, und ob ich Ihrer Aufmerksamkeit noch werth bin. Das Andere wird die Zeit aufklären, wenn Sie sich nur stellen wolen. Als dieser Brief eben geschlossen werden sollte, erschien Kurnatowski, um mit mir zu Mittag zu essen. Wir freuten uns im Geiste auf die Zeit, wo Sie bei dergleichen Mahlzeiten unser Dritter seyn würden. Könnten Sie grausam genug seyn, um solche Hoffnungen zu Schanden werden zu lassen? Gentz. Um allen Zeitverlust zu vermeiden, haben wir ausgerechnet, daß es offenbar das Beste seyn würde, wenn Sie sofort von Ihrem Wohnorte durch Schlesien nach Dresden gingen. Dort werden Sie den Baron Buol völlig instruirt finden, Ihnen den zu Ihrer Reise nach Wien erforderlichen Paß zu geben. Wenden Sie sich nur gleich an ihn; da Sie aber unmöglich die Reise ganz in einem Zuge machen können, so ruhen Sie einige Tage in Dresden aus, und melden Sie uns unterdessen Ihre dortige Ankunft und den Tag Ihrer Abreise, damit wir die gehörigen Maßregeln zu Ihrem Empfange treffen können. <25:> |
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