Briefwechsel

1803.

10.

Berlin, 20. Februar 1803.

Ich gehöre Ihnen und Sie mir, mein liebster, liebster Gentz, so ganz und ewig, daß ich nicht weiß, wo der Brief anfangen, und noch weniger, wo er endigen soll. Was kann ich Ihnen von Ereignissen der Welt, in die ich noch nicht eingreife, und der kleinen Literatur schreiben, das neben den unsichtbaren Mittheilungen so verständnißvoller Gemüther aushielte. Immer möchte ich Sie auf die kleine befriedigte Stelle zurückführen, die ich dem lasso maris, viarum, meinem guten Meister bereitet habe. - Also Gegensatz und nichts als Gegensatz! Aber auch davon schweige ich; ich schreibe gar nicht. Nein, ich ruhe nicht, wir müssen Sie bald wieder sehen, in Teplitz, in Wien, diesen Sommer, irgendwo, irgendwie; noch besser, noch zuversichtsvoller will ich Ihnen erscheinen, wenn ich erst Ihr Pair bin, und wozu sollte mich Ihr göttliches je m'y plongerai avec lui und die ordentliche Celebrität, die es mir schon verschafft hat, und Ihr beständiges Lob, und vor allem das Bewußtseyn Ihrer Liebe nicht noch erheben können? Glauben Sie mir, nur in der Betrachtung dieser Lebendigkeit, dieses Vernichtens und Erzeugens, dieser Stürme und dieser Klarheit, dieses eigentlichen Lebensmeeres Ihres Charakters konnte die erhabene Lehre von Leben und Antileben erfunden werden. An Ihrer Hand bin ich die Elemente durchfahren, kein Element, wohin Sie mir nicht folgen könnten; in der Liebe, dem eigentlichen Element der höchsten Philosophie, da, dächte ich doch, wären wir beide flott.

Schelling ist und bleibt der erste. Er geht mit seiner Frau diesen Sommer nach Italien; wenn Sie ihn noch nicht kennen, so suchen Sie <9:> ja in Wien seine Bekanntschaft zu machen. Bei seiner Rückkehr werde ich ihn vom Gegensatz aus begrüßen. - Die neueste Wissenschaftslehre wird in diesen Tagen fertig; piquanteres kann es für mich nichts geben. Schleiermachers Kritik der Moralsysteme eröffnet den Krieg gegen Fichte und stellt ein Bild als Problem der Philosophie auf, in dessen Zügen Sie bald den Gegensatz erkennen werden. Die Ziebing'schen Titanen liegen ohnmächtig und gelähmt unter der Last des Goethe'schen Sonnets da, das über sie hingewälzt ist, wie der Aetna über den Typhon; die Griechen erheben sich wieder über die Romantik; ich bin überzeugt, und wie von meinem Leben überzeugt, daß die wissenschaftliche Revolution unserer Zeit zu Ende ist.

Meine Reise mit Sigismund K. geht in kurzer Zeit vor sich: nicht wahr? wer den Gegensatz versteht, versteht meine innige Verbindung mit dem? Und wer war es denn, den sein Gefühl antrieb, uns anscheinend so entfernte Naturen zusammen zu bringen? - Um Johnsons Wörterbuch hätte ich Sie gerne für diesen Sommer gebeten, wenn Sie Ihre Bücher noch nicht kommen lassen. Vergessen Sie auch meine Entreprise wegen Fox und Lawrence nicht, denn Geld muß ich wohl anschaffen, da ich Haus und Hof um den lieben Jungen verlasse. Ihr „Adieu, liebe Jungens!“aus der dunklen Stube mit den verlöschenden Lichtern her wird noch immer gehört.

Ihre Schwestern sind hoch erfreut über Ihr Andenken und Ihre ganze Familie hat mich bloß wegen der Spuren, die ich von Ihnen an mir trug, mit Güte überhäuft. Sie springen jedem so lebhaft ins Auge, und mit Ihnen so gewaltig die unwiderstehliche Alternative, Haß oder grenzenlose Liebe, daß, wie von allen unbezwinglichen Mächten, davon nie die Rede seyn sollte. Ich wende die göttlichen Worte Jacobi's über Stolberg auf uns an: „und ob wir ihn lieben, das mag er sagen.“- Keine Briefe! keine Briefe! aber das baldigste Wiedersehen, mein großer, guter, treuer Gentz!

A. Müller.

Ich schicke Ihnen von Ihren Papieren, was mir das nöthigste scheint, und bitte um Verhaltungsbefehle wegen des Uebrigen; jedoch bald, da wir in drei Wochen von hier abzureisen gedenken. <10:>