Jan
Knopf
1. Villwock meint, dass der Abdruck der Tagebücher und der Journale in der GBA (steht für: Große Brecht-Ausgabe) Beleg dafür sei, dass auch die Notizbücher »im Rahmen einer nach Gattungen geordneten Ausgabe [...] im Zusammenhang erhalten« werden könnten. Das kann man so sehen; unsere Entscheidung jedoch war, dass es sich bei den Tagebüchern und vor allem bei den Journalen (die als solche Kunstwerke sind) um andere Genres als die Notizbücher handelt, die – letztere dem Zufallsprinzip unterliegen und der Notierung allmöglicher Aufzeichnungen gelten, zu denen dann eben auch Fremdtexte gehören. Es gibt in den Notizbüchern keinen Zusammenhang, der innerhalb einer großen Werkausgabe hätte dokumentiert werden müssen – außer dem chronologischen, der jedoch in Einzelfällen auch nicht gesichert ist, weil Brecht Hefte von beiden Seiten ›der Reihe nach‹ beschrieben hat, was bei Herta Ramthun u.a. zu einigen interessanten Neugliederungen von Gedichten geführt hat.
2. In der GBA – da hätte sich Villwock auch beim zuständigen Lektor des Verlags Wolfgang Jeske kundig machen können – sind ausschließlich (wenn auch mit Irrtümern, s.u.) nur Texte aufgenommen worden, die entweder Schriften sind (hier als Sachschriften definiert) oder eben poetische Texte, da häufig Vorstufen, darstellen; bloße Notizen (»Zeilenschrott«) haben wir jedoch nicht berücksichtigt, weil partout nicht jedes Geschreibsel in eine Werkausgabe gehört; ich verweise noch einmal auf die Kritik von Klaus Völker, der insbesondere bei den Gedichten bemängelt hat, dass der »Zeilenschrott« in der GBA die große Lyrik des B.B. beinahe unkenntlich mache.
3. Dass wir für die in den Kommentaren aus den Notizbüchern verwerteten Texte keine Register erstellen konnten noch wollten – es sind jedoch alle ›bekannten‹ Texte nachgewiesen –, liegt schon an der Tatsache, dass die Notizbücher in vorangegangenen Ausgaben nur sehr eklektisch ausgewertet oder ›missverstanden‹ worden sind. Überdies galt: Es konnten keine Auseinandersetzungen mit den vorangegangenen Ausgaben erfolgen, da sonst die Kommentare, die den Brecht-Erben ohnehin schon zu üppig waren, übermäßig und im Grunde überflüssigerweise aufgeschwemmt worden wären. Und das bedeutete, dass ein Großteil der Notizbuch-Eintragungen in die Kommentare gewandert ist (z.B. auch Gedichte, die keine waren) und eben dort bei sorgfältiger Lektüre auch zu finden sind.
4. Es ist richtig, dass ich nach einer Notizbuchedition ›gerufen‹ habe. Vor über zehn Jahren hatte ich mit dem Leiter des BBA Erdmut Wizisla, wie soll ich schreiben?, ›ausgemacht‹, dass wir nach Beendigung der GBA einen Band mit den Notizbüchern edieren wollten, und zwar mit den schönsten Exemplaren, um Brechts Arbeitsweise exemplarisch zu demonstrieren. Eine Edition aller Notizbücher dagegen halte ich für überflüssig, weil sich außer Brecht-Experten kein ›allgemeines‹ Publikum dafür interessieren wird, zumal auch auf den Seiten nur wenig Text steht, also viel Platz z.T. für ›Zeilenschrott‹ verschwendet wird. Und die Brecht-Experten müssen ohnehin mit den Originalen arbeiten, weil auch beim besten Faksimile-Druck besondere Feinheiten verloren gehen; wir haben das bei der Arbeit an der GBA häufiger erfahren müssen.
5. Die These mit den Nô-Stücken ist natürlich sehr einseitig; aber im Tenor des Artikels werden die »Lehrstücke« mal wieder so angeführt, als seien sie Stücke, die (›kommunistische‹) Lehren verbreiteten, wie mir sowieso schleierhaft ist, wie einer, der ins Zentrum seines Denkens und Schreibens Zweifel, Kritik und Veränderlichkeit gestellt hat, als ›Moralist‹, ›Lehrmeister‹, ›Gläubiger‹ etc. eingeschätzt werden kann.
6. Es ist richtig, dass ich ebenfalls – und da nehme ich alle Schuld auf mich – sowohl das Trinklied als auch den Rückenlieger in die GBA aufgenommen habe. Leider hat das »Dreigroschenheft« einen erweiterten und verbesserten Text meiner »Nachrichten« nicht mehr berücksichtigen können; in ihm hatte ich auf meine Fehler hingewiesen. Aber es gilt auch: ich habe meine Fehler längst vor der Ankündigung von Villwocks Editionsplänen berichtigt, indem ich in der Gedichte-Ausgabe von 2000 und in den – nochmals erweiterten und verbesserten – Ausgaben von 2007 bzw. 2008 diese Reimereien gestrichen habe. Ich frage mich, wieso es keinen Einspruch aus dem Verlag gab. Dass sie in Brechts »Anmerkungen…« stehen müssen, ist klar; dass sie jedoch von Willy Rosen stammen, wage ich zu bezweifeln: wie wäre es mit Willi Kollo?
7. Das vorangestellte Zitat, das Susanne Beyer in der Tat nicht als ›Gedicht‹ ausgewiesen hat, das aber dennoch so tut, als handle es sich um ein Gedicht, ist leider nach wie vor – sage ich höflicher – nicht in Ordnung; denn es handelt sich um einen Chor-Gesang aus dem »Fatzer«-Fragment, der eben mit Zeile 3 beginnt und nicht mit Zeile 6, und diese lautet: »frühzeitig verhärtet, vieles« und nicht wie bei Beyer »vieles«.
8. Die Ankündigung habe ich sehr wohl gelesen. Aber ich habe den SPIEGEL-Artikel kritisiert, in dem über die Transkriptionen von Herta Ramthun kein Wort gesagt, wohl aber der Eindruck erweckt wird, als wären die 15 Jahre u.a. dazu notwendig, um die Handschrift Brechts zu entziffern. Auch da wäre ein Einspruch von Seiten Villwocks oder des Verlags notwendig gewesen; denn Susanne Beyer ist ja keine Brecht-Expertin und wird wohl kaum die Besonderheiten des BBA kennen (können). Dass die Transkriptionen alle überprüft werden müssen, ist im mathematischen Sinn ›trivial‹. Dass wir da Fehler gemacht haben, ist ebenso trivial; aber ›unkritisch‹ waren wir durchaus nicht, weil wir jeden Text am Original überprüft und in nicht wenigen Fällen gegen Ramthuns Transkription entschieden haben; auch da waren Fehler nicht ausgeschlossen.
9. Eine abschließende Frage noch. Warum wird – und zwar von allmöglichen Seiten mit Unkenntnis oder Missachtung unserer Editionsprinzipien, zumal auch noch mit aktiver Mitwirkung des Verlags – gegen die GBA ›geschossen‹ (ich muss da leider etwas militärisch werden)? Die meisten ›Begründungen‹ sind buchstäblich aus den Fingern gesogen, wohingegen unsere wirklichen Fehler, die wir – leider nicht vollständig – im Registerband richtig stellen konnten, nicht kritisiert werden. – Ein Fall ist nach wie vor das »Arbeitsjournal«, das eine Fälschung ist, aber Kultstatus – wegen seiner Kleinschreibung – erhalten hat; leider haben sich aufgrund der für die Erstausgabe angefertigten ›Umordnung‹ der Originale einige ›Verbesserungen‹ des Herausgebers auch in die GBA eingeschlichen; aber die bemerkt natürlich niemand. Stattdessen zitieren nicht wenige Brecht-Forscher nach wie vor und z.T. vorsätzlich (vgl. z.B. die ›Erklärung‹ Theo Bucks in irgendeinem Aufsatz) nach dem alten »Arbeitsjournal«. Darf man das nicht »Missachtung« nennen? Jan Knopf |
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