Jan
Knopf
Dem gelben Hut vorzuwerfen, er sei grün und nicht blau (oder so), sah der BB durchaus nicht gern. Aber genau dies geschieht wieder und noch einmal im Artikel von Susanne Beyer, die lauthals und vollmundig verkündet, dass über die unsägliche Ausgabe aller Notizbücher in 13 Bänden neben dem angestammten »Beton-Brecht« der Lehrstücke nun endlich ein neuer BB, der Sucher, Irrende, Verwerfer, zu finden sein werde. Groß berichtet der Artikel, wie alle Anfänger es tun, dass der Erbsenzähler Villwock die Editionswissenschaft neu erfunden hat und deshalb der Großen Berliner und Frankfurter Ausgabe (GBA), deren Mitherausgeber ich bin (war), vorwerfen kann, sie habe die Notizbücher zerpflückt und ihren Zusammenhang unkenntlich gemacht. Seit es sie gibt, ist der GBA immer wieder vorgeworfen worden, sie habe Texte zerpflückt, versteckt, unkenntlich gemacht (dafür veranstaltet man natürlich solche Unternehmen!), aber keiner der Kritiker hat ihre Editionsprinzipien zur Kenntnis genommen und weiß Register zu benutzen (denn da sind die neuen Fundorte der ›versteckten‹ Texte verzeichnet; aber dazu muss man wenigsten das ABC beherrschen). Wie sollte eine Leseausgabe, nach Gattungen gegliedert, den Zusammenhang der Notizbücher erhalten? Das weiß der Geier, oder anders gesagt: das ist billige Polemik, einzig inszeniert, um das eigene Produkt aufzupolieren und Nicht-Eingeweihte vorzuführen. Die Notizbücher sind in der GBA vollständig ausgewertet. Dass wir Adressen, Termine, Namenlisten oder Reimwörter-Aufstellungen etc. nicht aufgenommen haben, war eine Selbstverständlichkeit. Die Sache lief im Gegenteil ganz in die umgekehrte Richtung: uns wurde nämlich vorgeworfen, wir hätten z.B. bei den Gedichten (aus den Notizbüchern »Zeilenschrott« (Klaus Völker) publiziert, der die großen Gedichte (in seiner, des Schrotts, Nähe) erdrücke. Frau Beyer sei gesagt, dass sie von Brecht nicht die geringste Ahnung hat (wenn sie z.B. die Lehrstücke, die aus dem japanischen Nô-Theater kommen, wie in Zeiten des Kalten Kriegs immer noch dem angeblich marxistischen Lehrtheater BBs zuordnet), und Herrn Villwock (und damit indirekt auch Frau Beyer) sei noch gesagt, dass es höchst gefährlich ist, alle Inhalte der Notizbücher aufs Konto BBs zu buchen. Das ›primitive‹ Gedicht, mit dem BB angeblich derbe Trinkgelage gefeiert hat (»Jetzt trinken wir noch eins«), stammt von den Comedian Harmonists, war ein witziger Schlager der späten 20er Jahre des 20. Jahrhunderts und ist eben kein BB-Text. Die ›wunderbare Sentenz‹ »Der Mensch ist kein Schwimmer, der Mensch ist kein Flieger: Er ist aus der Gattung der Rückenlieger« ist billigstes schwäbisches ›Volksgut‹ und auch kein Brecht. Das versprochene Drittel, das die GBA angeblich nicht ausgewertet hat, besteht entweder aus den schon genannten Auflistungen oder ist ›fremdes Gut‹, das wir denn doch dem armen BB vorenthalten sollten. Auch das Motto, das Frau Beyer wie ein Gedicht präsentiert, ist korrupt. Der Text stammt aus dem Fatzer-Fragment, ist also Dramentext und lautet im Original: »aber auch er ist doch / ein mensch wie ihr! / unbestimmt von ausdruck / frühzeitig verhärtet, vieles / versuchend« (Fortsetzung siehe Spiegel 7/2008, S.140 = BBA 823/31 = GBA, Band 10/1, S.439f.). Die veranschlagten 15 Jahre, die sich Herr Villwock nehmen möchte, um mit den 13 Bänden, von denen noch keiner fertig ist (auch besser so!), nach der Erledigung des »Quellenfitzels« zu belegen, dass Herr Brecht kein »Besserwisser und Moralist« war (eine Qualifikation, die schon seit Jahren noch nicht einmal mehr dem niedrigsten Standard der Forschung entspricht), basieren auf einer weiteren falschen Behauptung, dass nämlich die »fürchterliche Klaue Brechts« erst noch entziffert werden müsste. Die Transkriptionen der Notizbücher liegen seit Jahrzehnten vor; sie wurden von Herta Ramthun angefertigt und bildeten die – natürlich am Original zu überprüfende – Grundlage aller vorliegenden Brecht-Editionen. Und die Zerteilung des armen BB in einen Beton-Brecht und in einen fröhlichen Reimeschmieder ist sowieso unsinnig, weil ja beide zu gleicher Zeit tätig waren: Dr. Jekyll und Mr. Hyde??? Es ist ein Skandal , dass der Spiegel – ohne sich kundig zu machen – einen solch korrupten Artikel mit großer Aufmachung an die Öffentlichkeit bringt. Darf man fragen, wer die Auftraggeber waren? – Jedenfalls sollte sich der Macher des neuen Jahrhundertwerks ein paar Jahre von den 15 veranschlagten gönnen, um sich die Grundlagen seines Fachs anzueignen und sich zusätzlich ein wenig in der Welt umzuhören, damit nicht irgendwelche Windeier im Nest des armen BB landen. Der Veranstaltung am 17. Februar 2008 in der Akademie der Künste zu Berlin, auf der angeblich die »Gesamtausgabe« präsentiert wird, wünsche ich ein fröhliches Gelingen. P.S. Eine verkürzte Version dieses Textes habe ich Anfang März 2008 an den Spiegel geschickt, als Leserbrief, der natürlich nicht gedruckt wurde. Auch die dpa hat meine Ausführungen nicht beachtet. Die FAZ nannte dies vor Jahren das »Missachtungssyndrom«, das heißt, dass in den Geisteswissenschaften alle Äußerungen, die nicht in den eigenen Kram passen, einfach ignoriert werden. Schlimm wird dies freilich dann, wenn klare und nachweisbare Fehler auf diese Weise nicht mehr korrigiert werden (können), wie es denn auch üblich geworden ist, Analysen gegen den Text zu führen, wie es Friedrich Dieckmann noch einmal in seinem Leserbrief gegen meine Bruchforschung wunderbar unter Beweis gestellt hat (DGH 1/2008). Sollte so die Literaturwissenschaft der Zukunft aussehen, so bin ich für Abschaffung. Jan Knopf |
||
Copyright by Institut für
Textkritik, Heidelberg © 2005 |
||